Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 387 
6. Hilfsrechte der Vollstreckung. Offenbarungseid. 
§ 107. In den Zeiten, in welchen die Vollstreckung dem Schuldner an Leib und Leben 
ging, entwickelte sich im deutschen Rechte die Einrichtung des sogenannten Offenbarungseides. 
Man ließ den Schuldner unter Umständen leiblich unbehelligt, wenn er sein Vermögen den 
Gläubigern überantwortete und den Eid leistete, ihnen alles preisgegeben zu haben; dazu kam 
vielfach noch der Versprechenseid, die Gläubiger befriedigen zu wollen, sobald der Ver- 
mögensstand sich wieder bessere. 
Das letztere haben wir abgeworfen, das erstere aber ist eine unentbehrliche Einrichtung 
der heutigen Zeit. Finden sich bei dem Schuldner nicht genug Vollstreckungsmittel, um die 
Gläubiger zu decken, so kann man von ihm den Offenbarungseid verlangen und diesen Eid nötigen- 
falls durch Haftmahme (bis zu sechs Monaten) erzwingen. 
Solches kann im Konkurs und außerhalb des Konkurses geschehen (§§8 807, 899 f. 8PO.; 
5* 125 KO.). 
Dies und die schweren Strafen des Bankerotts, welche heutzutage den Nichtkaufmann wie 
den Kaufmann treffen, sind die Mittel, um das Hinwegschaffen des Vollstreckungsvermögens 
zu verhindern. 
Ein Schuldner, der den Offenbarungseid geschworen oder wegen Nichtleistung desselben 
eine Haft von sechs Monaten erduldet hat, kann von einem anderen Gläubiger erst nach fünf 
Jahren wieder zum Offenbarungseid gezwungen werden, sonst nur, wenn der Erwerb neuen 
Vermögens glaubhaft gemacht wird (5§ 903, 914). 
Das Gericht führt ein Verzeichnis solcher Personen, sogenannter Manifestanten; nach 
fünf Jahren wird der Name getilgt (§5 915 8PO.). 
IV. Sonstige Vollstreckungen. 
* 108. Handelt es sich um Herausgabe einer Sache, entweder um eine bloße Besitzüber- 
gabe oder um Herausgabe unter Ubertragung des Eigentums, so hat sich schon im späteren 
römischen Recht das Verfahren entwickelt, daß ein Vollstreckungsbeamter (bei uns ein Gerichts- 
vollzieher) dem Schuldner die Sache wegnimmt und sie dem Gläubiger übergibt; durch die 
Übergabe geht unmittelbarer Besitz, durch die Wegnahme entsprechendenfalls Eigentum auf 
den Gläubiger über (§§ 883—885, 897 8PO.). Auch hier gibt es einen (besonderen) Offen= 
barungseid, wenn der Schuldner eine bestimmte Sache (z. B. eine Urkunde) herauszugeben 
hat, und man sie nicht findet (§s 883, 899 f. ZPO.). Geht der Schuldtitel auf Leistung un- 
bestimmt bezeichneter Sachen, die erst individualisiert werden müssen, z. B. auf die Einrichtung 
einer Dampfwäscherei, so muß zuerst auf dem Wege einer Interessenklage eine Individualisierung 
erfolgen (§ 893 Z PO., vgl. RG. 20. 5. 1904 Entsch. 58 S. 160). 
Dem germanischen Rechte sind außerdem verschiedene Formen eigen, um den Verurteilten zu 
einem Tun oder zu einem Unterlassen zu zwingen. Sie entstammen dem Gedanken, daß der Beklagte 
Gerichtsgehorsam schuldig sei, einem Gedanken, der sich im germanischen Versäumnisverfahren 
und im germanischen Urteilsgelöbnis festgestellt hatte: der Beklagte mußte, auch wenn das 
Gericht in seinem Schlußurteil eine Handlung verlangte, durch Gerichtszwang hierzu genötigt 
werden können. Dieser Gedanke durchzieht das germanische Recht; er findet sich in den italischen 
Statuten ebenso wie in der auf einer Mischung von deutsch- und römisch-rechtlichen Ideen be- 
ruhenden Equity--Gerichtsbarkeit des englischen Kanzlers 1. Und während das französische Recht 
im wesentlichen den römischen Grundsatz aufrechterhalten hat, daß jede Vollstreckung eine Geld- 
oder Sachvollstreckung sein muß, so ist das deutsche Recht darüber hinausgegangen und gibt 
Vollstrechungen, wodurch Handlungen oder Unterlassungen erzwungen werden. Wesentlich 
ist allerdings, daß hierdurch nicht eine solche persönliche Beeinträchtigung des Schuldners bewirkt 
wird, welche unserer Anschauung zuwider wäre. Eine Verhaftung wegen Geldschulden ist bei 
uns in jedem Falle unstatthaft: nur eine Arrestverhaftung ist möglich zu dem Zweck, um den 
— 
  
  
1 Vgl. „Ungehorsam und Vollstreckung“ (1893) S. 56 f. Über einen Fall des Zwangs zur 
Herausgabe bei Friedlosigkeit vgl. Camerino (1560) III, 117. Eine Klage auf Errichtung 
einer Urkunde erwähnt Parma (1255), Mon. hist. ad prov. Parm. pert. 1 p. 260. Vgl. auch 
sächsische PO. von 1724 tit. 39 + 3. 
25“
	        
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