390 J. Kohler.
Diese Einrichtungen sind:
1. der vollstreckbare Vertrag,
2. das Mahnverfahren,
3. der aus beiden abgezweigte Urkundenprozeß,
4. das Arrestverfahren,
5. die einstweilige Verfügung,
alles Erzeugnisse des deutschen Rechts, allerdings meist nicht in Deutschland, sondern in Italien
und Frankreich gereift, wo die Triebkraft des deutschen Rechts weniger durch ungünstige Ver-
hältnisse niedergedrückt war.
II. Vollstreckbare Verträge.
§ 110. Die vollstreckkaren Verträge 1, gewöhnlich vollstreckbare Urkunden genannt, haben
sich zuerst in Italien, dann in Frankreich gebildet. Ihre Grundlage ist das langobardische Recht,
welches noch in seinen späten Ausläufern Selbsthilfe kannte. Um den Gläubigem eine ähnliche
Herrschaft zu wahren, ließ man sich vom Schuldner das Rccht gewähren, ohne Urteil in sein
Vermögen einzutreten und sich zu befriedigen: ius ingrediendi, Unterwerfungsklausel. Durfte
der Gläubiger sich auf solche Weise selbst befriedigen, so konnte er auch das Gericht anrufen, um
ihm zu helfen oder um an seiner Statt das Vermögen des Schuldners mit Beschlag zu belegen.
Derartige Urkunden gibt es in Fülle; sehr bezeichnend ist es, wie man sich hier auf eine Stelle
des römischen Rechts berufen zu müssen glaubte, die gerade das Gegenteil besagt .
Einen anderen Charakter hatten die sogenannten instrumenta guarentigiata oder con-
fessionata des lombardisch-romanischen Rechts, welche darauf beruhten, daß der Schuldner
vor Notar oder Richter ein Anerkenntnis ablegte und daraufhin die Auflage bekam, an dem
bestimmten Erfüllungstage zu zahlen. Eine solche Auflage war vollstreckbar 3.
Unsere vollstreckbare Urkunde aber hat sich hauptsächlich aus der ersten Art dieser In-
strumentsformen herausgestaltet. Auch in Frankreich war die Unterwerfungsklausel üblich"“,
ebenso wie auch die instrumenta confessionata 5; hier ist aber der große Fortschritt eingetreten:
die notarielle Urkunde wurde ohne weiteres vollstreckbar, denn es wurde hier die Unterwerfungs-
klausel als selbstverständlich betrachtet, zuerst mit Beschränkungen und dann unbeschränkt seit
einer Ordonnance Franz' I. von 1539. Damit hat das französische Rechtsleben einen ganz
neuen Charakter bekommen: durch Notariatsurkunden kann sich der Gläubiger in ähnlicher Weise
sichern wie er in alten Zeiten durch die Selbsthilfe gesichert war.
1 Vgl. Gesammelte Beiträge S. 459 f.
* C. 3 de pign. Vgl. darüber treffend Wach, Der italienische Arrestprozeß (1868) S. 54 f.
und Lattes, diritto consuetud. p. 120. Vgl. auch Durantis IV part. 3 de obl. et sol. § 1
(Ante) ur. 17; Faenza (1527) IV 25, Ancona (1560) III 92, Cesenna (1588) II p. 135.
Daher gehören solche Klauseln seit Rolandinus und Durantis zum eisernen Bestand
der Vertragsurkunden; vgl. meine Abhandl. in der Festgabe f. Gierke 1 S. 279 f. Es hat aller-
dings nicht an Gegenwirkung gefehlt; so bestimmte ein Mailänder Dekret von 1363, es sei nicht
gestattet, vigore pactorum bona debitoris zu verkaufen (Antiqua Ducum Medicolani Decreta p. 26).
Andere Rechte verlangten vorher eine summarische richterliche Untersuchung, so Senogalia
(1537) III176, Macerata (1553) III 16. Cividale (1309) a. 32 verbietet die Selbstpfändung
more teutonico . nDon obstante aliquo instrumento vel pacto Cento (1607) 1 43 be-
schränkt sei.
Bartolus zu kr. 12 de bon. auct. jud. nr. 11: Instrumenta confessionata seu guaren-
tigiae habeant vim sententiae definitivae. Eine Vollstreckung aus einem praeceptum guaren-
tigiae vom 10. März 1244 s. bei Sabatini, Docum. dell antica costituzione del comune di
Firenze p. 305. Eine Formel des praeceptum findet sich im Stadtrecht von Florenz (1415)
II 42. Vgl. auch Lattes, diritto consuetud. p. 125 f., 413; Ficker, Forschungen 1 S. 46 f.
* Vgl. Gesammelte Beiträge S. 496 ff.
* Ebenda S. 498. So auch die Coutume von Lamontsopxe von 1298, wonach Pfänder
genommen werden Pro“ cre judicata vel confessionata.
* In Südfrankreich schon vor alter Zeit: in Bayonne galten die in die Gemeinderolle
eingetragenen Urkunden (arrolhat) als vollstreckkar, Stadtrecht von Bayonne XXIX, 1 in Ba-
lasque, Ville de Bayonne II p. 326.