Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

392 J. Kohler. 
Bei vollstreckbaren Urkunden hat die Vollstreckungsgegenklage eine besondere Bedeutung 1: 
denn während die gerichtliche Entscheidung den Anspruch festsetzt, so enthält der vollstreckbare 
Vertrag zwar ein Vollstreckungsrecht, aber keine Feststellung. Hier kann daher durch Voll- 
streckungsgegenklage geltend gemacht werden, daß der vollstreckbare Vertrag nichtig oder 
anfechtbar ist. Durch sie wird auch die Anfechtung vollzogen, oder wenn die Anfechtung außer- 
gerichtlich stattgefunden hat, so wird die auf Grund der Anfechtung eingetretene Nichtigkeit in 
der obigen Weise zum Ausdruck gebracht. Die Klage ist die wahre Vollstreckungsgegenklage, 
wenn die Vollstreckung bereits begonnen hatj sonst die ihr entsprechende Feststellungsklage 2. 
Der vollstreckbare Vertragstitel kann auf eine andere Person übertragen werden, ebenso 
wie ein sonstiger vollstreckkarer Titel; nur daß, wenn die Urkunde von dem Notar auf- 
genommen wird, der Notar oder die Aufbewahrungsbehörde die Vollstreckungsklausel gibt, 
sowohl die einfache als auch die funktionelle (I§ 794 f. ZPO.). 
III. Mahnverfahren. 
§ 111. Auch das sogenannte Mahnverfahren ist tief im altdeutschen Prozeß begründet 7. 
Der Schuldner wurde ausgefordert, zu zahlen, und nach vergeblicher Aufforderung trat die 
Selbsthilfe, später die staatliche Pfändung ein. Das konnte er verhüten, wenn er die Aufforderung 
nicht stillschweigend hingehen ließ, sondern die gerichtliche Entscheidung anrief: dann kam es 
zum Prozeß, und die Sache wurde in gewöhnlicher Weise erledigt. Dieses Verfahren hat Durantis 
in seinem Speculum und haben auch die Postglossatoren übernommen, und es ist von da in die 
italienische und in die deutsche Praxis übergegangen. 
So wurde es auch von verschiedenen modernen Prozeßgesetzen“ ausgebildet, so auch 
von der deutschen ZPO. Dem französischen Rechte ist es fremd geblieben; eigenartig hat es 
sich in England entwickelt 5. 
Der Kläger begehrt ein Gebot; dieses nennt man heutzutage Zahlungsbefehl. Der 
Zahlungsbefehl hat nicht etwa den Charakter eines Urteils, auch nicht eines bedingten Ur- 
teils, denn er präjudiziert der weiteren gerichtlichen Entscheidung nicht s; vielmehr ist er 
ein Beschluß, welcher eine gewisse Rechtslage herbeiführt: die Rechtslage nämlich, daß unter 
bestimmten Umständen der Beklagte dem Gebote entsprechend verurteilt werden kann. 
Diese Umstände sind, daß er in der bestimmten Frist — im Zweifel ist es eine Woche (früher 
waren es zwei Wochen) — keinen Widerspruch entgegengesetzt hat, und daß der Richter 
den Klageanspruch als zum Mahnverfahren geeignet erachtet. Der Zahlungsbefehl ist daher 
ein Beschluß mit Zwangswirkung, indem er den Beklagten bei schweren Folgen zwingt, aus 
seiner Zurückhaltung herauszugehen und sich zu erklären: dies ist aber völlig germanisch, denn 
der deutsche Richter kann nach unserer Auffassung die Volksgenossen aufrütteln, wie noch unten, 
S. 400, auszuführen sein wird. 
1 Gesammelte Beiträge S. 459 f. 
* Handelt es sich um Anfechtung eines Prozeßvergleichs, so geschieht die Anfechtung am 
besten durch Wiederaufnahme des Prozeßverfahrens, da der Prozeß nur dann erledigt ist, wenn 
der Vergleich zu Recht besteht. Darüber wird viel gestritten, richtig Lehmann, Prozeß- 
vergleich S. 239 f., wo auch weitere Literatur. Das RG. will eine besondere Klage, 3. 4. 1907 
Entsch. 65 S. 420, 5. 1. 1912 Entsch. 78 S. 286. Wie aber, wenn die Parteien sich einen Widerruf 
vorbehalten haben und dieser Widerruf geäußert wird? Soll auch hier eine Klage nötig sein? 
OLG. München 29. 7. 1910 Mugdan XXIII S. 156. Vgl. S. 338. 
* An die Komik grenzt es, daß sich die germanische Rechtsentwicklung hier an eine so ab- 
gelegene Stelle des Corpus juris, wie das fr. 5 5 10 de operis novi nunc., anklammern mußte, 
wie es bei Baldus und anderen geschah. üÜber das Botverfahren, vor allem in der Schweiz, 
vgl. meine Abhandlung im Archiv für ziv. Praxis B. 99 S. 284. 
* Nach den Irrgängen des gemeinrechtlichen Mandatum cum clausula, welches damit, daß 
es eine Bescheinigung des Antrags verlangte, die ganze Einrichtung entstellte; wobei man sich 
in höchster geschichtlicher Naivität auf das Interdiktverfahren als seine Quelle berief. Es waren 
die Zeiten des tiefsten Niedergangs unserer Prozeßwissenschaft. Was insbesondere hierüber 
Hieronymus Bayer u. a. geschrieben haben, ist mehr als schülerhaft. 
* Völlig aus deutschrechtlichen Ideen heraus; über diesen writ of special indorsement vgl. 
Prozeßrechtliche Forschungen S. 136 f., Chitty Forms p. 44 f. 
*Prozeßrechtliche Forschungen S. 131.
	        
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