Zivilprozeß- und Konkursrecht. 401
ein sonstiges Recht miteinander streiten, während es ein Dritter für sich beansprucht, so erwartet
man, daß dieser in den Prozeß einwirken werde, um zur Geltung zu bringen, daß keiner von
beiden, weder der Kläger noch der Beklagte, sondern daß er der Berechtigte ist. Diesem ger-
manischen Gedankengang war es völlig entsprechend, daß dieser Dritte in das schwebende Ver-
fahren selbst eintrat. Lange Zeit hat man daher die Sache so gestaltet: der alte Prozeß blieb
bestehen, und der Dritte wurde mit seinem Vorbringen im gleichen Prozeß berücksichtigt, so
daß der Prozeß zu gleicher Zeit die Sache für sämtliche Beteiligten zur Erledigung brachte 1.
Diese Idee fand aber große Schwierigkeit in der Parteigestaltung, und da die Versuche der
klaren Durchführung nicht zum Ziele führten, so wählte man einen anderen Weg: man trennte
die beiden Prozeßverhältnisse und schuf zwei Prozesse, den ursprünglichen Prozeß und einen
Prozeß des Hauptintervenienten gegen die beiden Prozeßparteien; eine Beeinflussung des
einen dieser Prozesse durch den anderen fand nun nicht mehr statt, höchstens in der Art,
daß der ursprüngliche Prozeß einstweilen ruhen blieb, weil er sich als müßig heraus-
stellen mußte, wenn der Hauptintervenient durchdrang; denn triumphiert dieser über A. und
B., so ist es bedeutungslos, zu untersuchen, ob, wenn man von seinem Recht absieht, A. oder
B. obgesiegt hätte; obsiegt der Testamentserbe, so ist es unerheblich, ob A. oder B. Intestat-
erbe gewesen wäre. Die Unabhängigkeit der beiden Prozesse zeigte sich auch darin, daß der
Hauptinterventionsprozeß zunächst die erste Instanz betreten mußte, während der bisherige
Prozeß vielleicht schon in höherer Instanz schwebte.
Die Konstruktion dieses Hauptinterventionsprozesses hat man in der Art versucht, daß
man die Hauptintervention als eine Klage gegen zwei Streitgenossen betrachtete: als eine
Anspruchsklage gegen den bisherigen Beklagten und als eine Feststellungsklage gegen den bis-
herigen Kläger. Diese Auffassung war früher die herrschende und ist auch jetzt noch viel ver-
breitet 2: sie ist unzutreffend: sie läßt die germanische Ide#e von der Doppelwirkung des Urteils
ganz beiseite. In der Tat genügt eine Klage des Hauptinterenienten gegen den bisherigen
Beklagten, und es genügt ein Prozeß, ein Prozeß des Hauptintewenienten gegen den bis-
herigen Beklagten B. mit Wirkung des Urteils gegen den bisherigen Kläger A.: es handelt sich
hier nur darum, die rechtskräftige Entscheidung auch dem A. gegenüber zu Kraft kommen zu lassen;
hierzu genügt aber, wenn dieser zum Nebenintervenienten, und zwar zum streitgenössischen
Nebenintewenienten gemacht wird, ja, es genügt, wenn man ihn als streitgenössischen Neben-
intervenienten herbeizieht; dann muß er sich die Entscheidung gefallen lassen, ob er kommt oder
nicht. Nichts anderes aber besagt § 64 8PO.; natürlich, wenn man ihn nach seinem prozeß-
rechtlichen Gehalt bemißt und nicht bei den Worten stehen bleibt 5, wie es regelmäßig geschieht.
Dies ist aus verschiedenen Gründen wichtig; insbesondere auch für die Zuständigkeit: eine
etwaige Zuständigkeitsvereinbarung zwischen dem Hauptintewenienten und dem Kläger des
ersten Prozesses wäre schon aus diesem Grunde wirkungslos, weil der letztere gar nicht Prozeß-
partei, sondern nur Intervenient ist. So bestimmt denn auch die Prozeßordnung, daß der
Interventionsprozeß bei dem Gericht anzubringen ist, wo der bisherige Prozeß in erster Instanz
anhängig war (§ 64 ZPO.). Dies entspricht der geschichtlichen Entwicklung 4.
2. Sonstige Zuziehung Dritter.
§ 119. Wie der Hauptintervenient den Erstkläger zur Intervention laden kann, so auch der
Erstbeklagte den Hauptintervenienten, wenn ein Interesse besteht, daß die Streitsache auch diesem
gegenüber festgestellt wird. Die Ladung heißt hier Streitverkündung, was im Wesen der Sache
nichts ausmacht. Sie steht dem Erstbeklagten zu, der eine zweite Klage auf denselben Streitgegen-
stand von dem Geladenen befürchtet, und der sich solchergestalt hilft, auf daß er nicht zweimal
1 Daher auch der Name, der dem Institut geblieben ist. Im englischen Recht hat sich
das Institut als Interpleaderprozeß weiter entwickelt, Rules Sup. Court LVII 1, Chitty,
orms p. .
: So RG. 24. 11. 1906 Entsch. 64 S. 32.
* Gesammelte Beiträge S. 272 f. Vgl. auch meine Abhandl. über die Philosophie des
Zivilprozesses, Arch. f. Rechtsphil. VI S. 590.
* Man vgl. Durantis II 1, J54: Potes etiam nominatim, quos volueris, citare, ut com-
pareant ad opponendum se Titio, si volnerint ..; nisi comparuerint, praejudicatur eis.
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band III. 26