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nur als Abarten bürgerlicher Rechtsinstitute. Manche von ihnen, wie z. B. die Prokura, die
offene Handelsgesellschaft oder der Handelskauf, empfangen überhaupt erst durch komplemen-
täre Vorschriften des bürgerlichen Rechts ihre Vollendung. Andere, wie z. B. die Firma,
die Aktiengesellschaft oder das Kommissionsgeschäft, sind in sich abgerundeter, bleiben aber
immerhin in einzelnen Bezichungen auf die Anlehnung an das bürgerliche Recht (Namenrecht,
Vereinsrecht, Recht des Werkvertrages) verwiesen.
Gleichwohl hat das Handelsrecht den Charakter eines Sonderrechts gewahrt. Es
ist seiner Hauptmasse nach in einem besonderen Gesetzbuch kodifiziert und erfreut sich abge-
sonderter wissenschaftlicher Behandlung und Lehre. Diese äußere Selbständigkeit aber wird
durch eine innere Einheit getragen. Denn auch wo das Handelsrecht scheinbar sich
aus Bruchstücken zusammensetzt, waltet ein gemeinsamer Geist, der sie zum Ganzen verbindet.
Alle Abwandlungen des bürgerlichen Rechts zeigen eine gleichartige Grundfärbung. Diese
durchgehende Eigenart ist geschichtlich aus den Anschauungen und Bedürfnissen des Kauf-
mannsstandes erwachsen und hat insoweit, als sie den Bedürfnissen anderer Lebenskreise gleich-
falls entsprach oder zu entsprechen schien, die allmähliche Erweiterung des Geltungsbereichs
des Handelsrechts veranlaßt. Die meisten charakteristischen Züge des Handelsrechts erklären
sich aus der dem Handelsverkehr innewohnenden Tendenz, sich möglichst frei und doch in mög-
lichst sicheren Bahnen zu bewegen, sich mit möglichst geringem Aufwande an Zeit und Kosten
abzuwickeln und sich in Massenwirkungen zu entfalten. So die Abneigung gegen Beschrän-
kungen der Vertragsfreiheit; die Abstreifung von Formerfordernissen unter gleichzeitiger Be-
günstigung besonderer Formalinstitute; die Strenge der Verpflichtung und der Haftung; die
Forderung erhöhter Sorgfalt; die Vermutung für Entgeltlichkeit jeder Leistung; die Beförderung
der schleunigen und glatten Erledigung von Anständen; die Steigerung des Publizitätsprinzips
und der Wirkungen des guten Glaubens; die Ausbildung fester und gleichförmiger Geschäfts-
typen und deren Bindung durch die Verkehrssitte. Daneben empfängt das Handelsrecht sein
eigentümliches Gepräge durch die personenrechtlichen Gebilde, die dem Bestreben nach Schaffung
tragfähiger Organisationen für den Geschäftbetrieb im ganzen entsprungen sind. Hier
wurzeln die Besonderheiten der handelsrechtlichen Personenverbindungen, des Vertreter- und
Gehilfenrechts, des Gesellschafts- und Genossenschaftsrechts. Im Zusammenhange hiermit
endlich zieht sich durch das Handelsrecht die Tendenz, das Geschäft zu verselbständigen und
die geschäftliche Sphäre von der Privatsphäre ihres Trägers genau zu sondern. Manche
handelsrechtlichen Institute, wie Firma und Handelsbücher, sind vorzugsweise auf dieses Ziel
gerichtet.
Diese innerlich begründete Eigenart des Handelsrechts rechtfertigt den Fortbestand
seines Sonderdaseins. Der Wunsch nach Beseitigung des Zwiespalts zwischen Handelsrecht
und bürgerlichem Recht ist oft laut geworden. Allein entweder müßte der Handel auf eine
ihm kongeniale Rechtsordnung verzichten oder das bürgerliche Leben sich einer für die Gesamt-
heit unpassenden und sozial bedenklichen Rechtsordnung unterwerfen. Eines schickt sich nicht
für alle. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit fordert nicht doktrinäre Gleichmacherei. Vielfach
hat freilich das Handelsrecht, wie oft gesagt ist, als Pionier dem allgemeinen Fortschritt der
Rechtsentwicklung vorgearbeitet. Gerade in neuester Zeit ist das deutsche bürgerliche Gesetz-
buch in der Verpflanzung ehemals handelsrechtlicher Sätze in das bürgerliche Recht ziemlich
weit gegangen. Allein, auch das Handelsrecht steht nicht still und bringt immer wieder Neu-
bildungen heror, zu deren Verallgemeinerung die Zeit nicht reif ist. So hat denn auch die
Gesetzgebung bisher nur in der Schweiz die sonderrechtliche Stellung des Handelsrechts formell
beseitigt, ohne übrigens die materielle Besonderheit der handelsrechtlichen Institute auszutilgen.
Für Deutschland ist auf absehbare Zeit hinaus durch den gleichzeitigen Erlaß eines neuen Handels-
gesetzbuches neben dem bürgerlichen Gesetzbuch der Fortbestand eines auch formell als Sonder-
recht anerkannten Handelsrechts gesichert.
Literatur: Molengraaff, het noodzakelik of wenschelijk, tuschen handelsrecht
en burgerlik recht te onderscheiden en ze tot voorwerpen van afzonderlilk wettelijke rege-
ling te maken?m Amsterdam 1883; llet verkeersrecht in wetgeving en wetenschap, Haar-
lem 1885. — G. Cohn, Warum hat und braucht der Handel ein besonderes Recht? Drei rechts-
wissenschaftliche Vorträge, Heidelberg 1888, II. — Nießer, Der Einfluß handelsrechtlicher