96 G. Anschütz.
nicht in Widerspruch. Denn einmal wird hierbei nicht verkannt, daß das Recht der Fürsten,
im Bundesrate vertreten zu sein, kein persönliches, sondern ein Recht ist, welches ihnen lediglich
als Oberhäuptern ihrer Staaten zusteht 1. Sodann aber besteht hier auch eine sachliche Be-
rechtigung, die Einzelstaaten mit ihren Regierungen zu identifizieren, insofern die Mitglied-
schaftsrechte der Einzelstaaten im Reich, vorab das Recht auf Sitz und Stimme im Bundesrat,
ausschließlich und allein durch die Regierungen ausgeübt werden, derart, daß der Einzelstaat
im Verhältnis zum Reiche durch seine Regierung als voll repräsentiert gilt und diese Repräsen-
tationsmacht auch durch kein Landesgesetz dem Reiche gegenüber beschränkt werden kann. Das
Reich kennt geradezu seine Einzelstaaten nur in Gestalt ihrer Regierungen (Landesherren,
Senate), und ist es in diesem Sinne daher eine zutreffende Ausdrucksweise, wenn man anstatt
„die Gesamtheit der Staaten“ oder „die verbündeten Staaten“ sagt: die verbündeten Re-
gierungen. — Eine durch den politischen Grundgedanken der neuesten Verfassungsreform Elsaß-
Lothringens (faktische Anähnlichung des Reichslandes an die Stellung und Eigenschaft
eines Einzelstaates) bedingte Ausnahme von der Regel ist es, wenn dem Reichslande, obgleich
es auch heute noch kein selbständiges Staatswesen, kein „Mitglied des Bundes“ darstellt, jetzt
Sitz und Stimme im Bundesrate eingeräumt worden ist. Geschehen ist dies durch das Reichs-
gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringens vom 31. Mai 1911, Art. I, wonach (neuer Art. 6 a
der NV.) dem Reichslande drei Stimmen im Bundesrate zustehen (vgl. unten § 24). Um
die hierin liegende Prinzipwidrigkeit äußerlich zu verwischen, mußte der Gesetzgeber zu einer
Fiktion greifen; er bestimmt (Art. I a. a. O., Abs. 4): „Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Art. 6
Abs. 2 und der Art. 7 und 8 als Bundesstaat“". Wohlgemerkt: im Sinne dieser Verfassungsartikel
und auch nur in deren Sinne gilt das Reichsland als „Bundes"“-(Einzel) Staat. Das heißt:
es ist kein Staat, wird aber in den angegebenen Beziehungen so behandelt, als wäre er ein
solcher (vgl. Laband 2 230).
Die Stimmverteilung im Bundesrate des Norddeutschen Bundes war die nämliche wie
im Plenum des ehemaligen Bundestags, so zwar, daß Preußen die Stimmen der von ihm
annektierten Staaten Hannover, Kurhessen, Nassau, Holstein und Frankfurt zugerechnet wurden,
wodurch die preußische Stimmenzahl auf 17 stieg. In der Folge ging man dann von dieser
geschichtlichen Grundlage zugunsten Bayems ab, indem man diesem Staate schon im Zoll-
bundesrate des Zollvereins (vgl. Zollv.-Vertr. vom 8. Juli 1867, Art. 8, § 1) anstatt seiner
historischen vier Stimmen sechs gewährte, — eine Bestimmung, die dann in die Reichs-
verfassung übergegangen ist. Die Stimmverteilung ist demnach heute die: Preußen 17, Bayern 6,
Sachsen und Württemberg je 4, Baden, Hessen und Elsaß-Lothringen (s. oben) je 3, Mecklenburg-
Schwerin und Braunschweig je 2 Stimmen, die andern 17 Staaten je eine Stimme; Gesamt-
zahl: 61 Stimmen. Jeder Staat kann (nicht muß) so viel Bevollmächtigte zum Bundesrate
ernennen, als er Stimmen hat (RV. Art. 6 Abs. 2). Für die Bevollmächtigten können — und
zwar in beliebiger Zahl ? — Stellvertreter emannt werden, welche im Falle der Verhinderung
der Hauptbevollmächtigten für dieselben als Mitglieder in den Bundesrat eintreten, sonst aber
an den Verhandlungen des Bundesrates nicht teilnehmen dürfen (Geschäftsordn. f. d. BR.
vom 26. April 1880, 88 1, 2, 4). Eine formelle Rechtspflicht der Staaten zur Beschickung des
Bundesrates und zur Ausübung des Stimmrechts besteht nicht.
Das Recht zur Beschickung des Bundesrates, zur Ernennung der Bevollmächtigten zum
Bundesrate kann, den oben angegebenen Grundsätzen zufolge, für jeden Einzelstaat nur von
dessen Regierung ausgeübt werden; desgleichen ist es ausschließlich Sache der Staats-
regierungen, ihre Bevollmächtigten mit Instruktion zu versehen. Die elsaß-lothringischen Bundes-
ratsbevollmächtigten werden vom Statthalter des Reichslandes (unten § 24) ernannt und
1 Wie klar Bismarckssich dessen bewußt war, geht gerade aus der in voriger Anm. zitierten
Rede hervor. Er nennt dort den Bundesrat ein „Staatenhaus im vollsten Sinne des
Wortes“. „Im Bundesrat stimmt nicht der Frhr. v. Friesen, sondern das Königreich Sachsen
stimmt durch ihn .. ; es ist also recht eigentlich das Votum eines Staates, das Votum in einem
Staatenhaus.“
: So die Praxis. Die Einrichtung des stellvertretenden Bundesratsbevollmächtigten ist
der RV. unbekannt; sie ist durch die Geschäftsordnung des Bundesrates (oben S. 95 Anm. 1) ge-
schaffen. Vgl. Perels, Stellvertretende Bevollmächtigte zum Bundesrat (1907); Vogels
im Arch. f. öff. R. 26 69 ff.