Deutsches Staatsrecht. 97
instruiert. Ein Anspruch der einzelstaatlichen Landtage auf Beteiligung an der Ausübung dieser
Regierungsrechte ist in der RV. überall nicht begründet, noch auch nur, falls er durch Landes-
gesetz begründet werden wollte, zugelassen. Ein Landesgesetz, welches dem Landtage die Wahl
des bzw. der Bundesratsvertreter überträgt oder die Gültigkeit der Instruktionserteilung von
der Zustimmung des Landtages abhängig macht, wäre dem Reiche gegenüber ohne rechtliche
Wirkung. Für die verfassungsmäßige Vertretung eines Einzelstaates im Bundesrate ist die
Tatsache, daß der Vertreter die Vollmacht der Regierung dieses Staates trägt, ebenso erforder-
lich wie ausreichend. Dabei ist zu bemerken, daß der Bundesrat nur die Vollmacht, d. h.
die Legitimatiorn seiner Mitglieder prüft, die Frage aber, ob die auf Grund dieser Voll-
macht abgegebenen Erklärungen sich im Rahmen der Instruktion, des dem Bevollmächtigten
von seiner Regierung erteilten Auftrags halten, ungeprüft lassen darf und muß. Das
Verhalten der Bundesratsmitglieder, insbesondere auch bei Abstimmungen, gilt mit einer un-
widerleglichen Rechtsvermutung als instruktionsgemäß. Auch die instruktionswidrige Ab-
stimmung ist rechtswirksam, sowohl dem Reiche wie der beteiligten Regierung gegenüber, welche
letztere die Erklärung ihres Bevollmächtigten im Bundesrate unter allen Umständen gegen sich
gelten lassen muß und dessen Vollmacht mit Wirkung nach außen nicht beschränken kann. Diese
Sätze gelten ausnahmslos, namentlich also auch für Abstimmungen, welche die Beseitigung
von Reservatrechten (§ 78 Abs. 2 RV.; s. oben § 13, S. 76 ff.) zum Gegenstande haben. „Zu-
stimmung des berechtigten Bundesstaates“ im Sinne des Art. 78 Abs. 2 ist nichts anderes als
das Ja des stimmführenden Bevollmächtigten des betreffenden Staates im Bundesrate. Ob
dieses Jawort im Einklang oder im Widerspruch mit der Instruktion abgegeben, ob die In-
struktion im Einvernehmen mit dem Landtage erteilt wurde oder gegen dessen Willen, ist hier
wie sonst für das Reich gleichgültig. Hiervon verschiedene Fragen sind natürlich die nach den
Rechtsfolgen, welche die pflichtwidrige Verletzung seiner Instruktion für den betreffenden Be-
vollmächtigten herbeiführen kann (Abberufung, disziplinarische oder selbst kriminelle Bestrafung),
sowie nach dem Umfange der konstitutionellen Verantwortlichkeit, welche die Staatsregierungen
für ihr und ihres Bevollmächtigten Verhalten im Bundesrate ihren Landtagen gegenüber
tragen 1. —
Eine vollständige Übersicht der Zuständigkeit des Bundesrates kann hier nicht
gegeben werden; s. hierüber Laband 1 254 ff. Die RV. handelt von der Zuständigkeit des
Bundesrates in Art. 5, 7, 11, 19, 39, 72, 76, 77 und anderwärts; dazu kommen noch zahlreiche
Spezialgesetze, welche Zuständigkeiten des Bundesrates begründen. Außer und abgesehen
von diesen positiven Einzelbestimmungen der Verfassung und der Gesetze stehen aber dem
Bundesrate, als dem Repräsentanten des Trägers der Reichsgewalt (loben S. 93—95), über-
haupt alle Funktionen der letzteren zu, welche nicht anderen Reichsorganen, dem Kaiser oder
dem Reichstage oder den Reichsbehörden, überwiesen sind. Die Gesamtheit der bundesrätlichen
Kompetenzen erstreckt sich auf alle drei Grundfunktionen der Reichsgewalt, so daß der Bundesrat
als Organ sowohl der gesetzgebenden wie der vollziehenden wie der richterlichen Gewalt erscheint.
Im Mittelpunkt steht, die hohe organschaftliche Stellung des Bundesrates kennzeichnend, die
gesetzgeberische Kompetenz: dem Bundesrat gebührt die gesetzgeberische Initiative
in Konkurrenz mit dem Reichstage, die Feststellung des Gesetzesinhaltes in Ge-
meinschaft mit dem Reichstage, vor allem aber die Sanktion der Reichsgesetze, und zwar
übt er die letztere, die oberste und zentrale Funktion der Legislative, allein, ohne Beteiligung
eines anderen Reichsorganes, aus (s. unten § 40). Dem Bereiche der vollziehenden
Gewalt (Verwaltung) gehören folgende Zuständigkeiten des Bundesrates an: er ist das regel-
mäßige Verordnungsorgan des Reiches (Art. 7 Nr. 2 RV.; vgl. unten § 42); er hand-
habt an oberster und letzter Stelle die Reichsaufsicht über die einzelstaatliche Verwaltungs-
1 Die Instruierung des Bundesratsbevollmächtigten ist ein einzelstaatlicher Regierungsakt,
welcher grundsätzlich in das Ministerialressort der auswärtigen Angelegenheiten gehört und, einerlei,
ob von dem Landesherrn unmittelbar oder in dessen Namen von dem Ministerium erlassen, unter
ministerieller Verantwortlichkeit (s. unten § 27) steht wie jeder andere Regierungsakt. „Die Land-
tage,“ sagt Bismarck am 8. Juli 1893, „sind immer befugt, das Auftreten ihrer Minister in
bezug auf die Reichspolitik vor ihr Forum zu ziehen und ihre Wünsche den Ministern kundzutun.“
(Kuhlenbeck, Otto v. Bismarck, Reden z. deutsch. RV. S. 20, 21.)
Enzuklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 7