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Präsidialstimme nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen oder
im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Satz 3 den Ausschlag geben würde“ (Art. 6 a Abs. 2), — eine
Vorschrift, welche verhüten soll, daß die Einrichtung der elsaß-lothringischen (vom Statthalter,
einem Untergebenen des Kaisers, instruierten) Bundesratsstimmen indirekt als Verstärkung
des preußischen Stimmgewichtes im Bundesrate wirkt.
Die Regel, daß Minderheiten im Bundesrate kein Veto haben gegen den Willen der
Mehrheit, wird durch mehrere wichtige Ausnahmen durchbrochen. Erstens gelten Abänderungen
der Reichsverfassung als abgelehnt, wenn sie 14 Stimmen im Bundesrate gegen sich haben
(RV. Art. 78 Abs. 1; die elsaß-lothringischen Stimmen werden in diesem Falle nicht gezählt,
wenn sie gegen und die preußischen Stimmen für die Verfassungsänderung abgegeben werden
[RV. Art. 6a Abs. 2 Satz 2l: eine von Preußen beantragte oder befürwortete Verfassungs-
änderung soll nicht an dem Widerstande Elsaß-Lothringens scheitern). Zweitens steht den Staaten,
welche Inhaber verfassungsmäßiger Sonderrechte sind, ein Veto zu gegen Anderungen derjenigen
Verfassungsbestimmungen, auf welchem ihre Sonderrechte beruhen (Art. 78 Abs. 2; vgl. oben
S.77, 97). Drittens hat der Einzelstaat Preußen ein Veto gegen alle Abänderungen der „be-
stehenden Einrichtungen“ auf dem Gebiete des Militärwesens, der Kriegsmarine und der im
Art. 35 RV. bezeichneten Abgaben (Zölle und Verbrauchssteuern auf Salz, Zucker, Tabak, Bier
und Branntwein): Art. 5 Abs. 2 und Art. 37 RV.
Die Ausschüsse des Bundesrates, von denen Art. 8 NV. handelt, sind
ständige Kommissionen zur Vorbereitung (nicht Ausführung) der Bundesratsbeschlüsse. Die
im Art. 8 genannten acht Ausschüsse sind verfassungsmäßig notwendige Einrichtungen; darüber
hinaus kann der Bundesrat im Wege der Geschäftsordnung noch weitere dauerde Ausschüsse
einsetzen, und er hat dies auch getan (z. B. Ausschuß für die Verfassung, für Elsaß-Lothringen,
für die Geschäftsordnung). In jedem Ausschusse müssen außer Preußen mindestens vier Stimmen
vertreten sein; jeder Staat führt nur eine Stimme. Daß Preußen wie im Plenum, so auch
in den Ausschüssen präsidiere, ist verfassungsmäßig nicht notwendig, aber durch die geltende
Geschäftsordnung vorgeschrieben. In dem Ausschusse für das Landheer und die Festungen
hat Bayern auf Grund der Verfassung, Württemberg und Sachsen kraft ihrer Militärkonven-
tionen einen ständigen Sitz; die übrigen Mitglieder dieses Ansschusses und die Mitglieder des
Ausschusses für das Seewesen ernennt der Kaiser. Die Mitglieder der übrigen Ausschüsse
werden vom Bundesrat gewählt. Vorstehende Normen über die Zusammensetzung der Bundes-
ratsausschüsse gelten nicht für den Ausschuß für die auswärtigen Angelegen-
heiten (Art. 8 Abs. 3 RV.), in welchem Preußen nicht vertreten ist, Bayern den Vorsjitz
führt (worin das ausschließliche Recht enthalten ist, diesen Ausschuß einzuberufen) und außer
dem Bevollmächtigten dieses Staates noch Württemberg, Sachsen und zwei alljährlich vom
Bundesrat zu bezeichnende Einzelstaaten vertreten sind. Auch hinsichtlich seiner Kompetenz
und Tätigkeit nimmt dieser Ausschuß eine von den übrigen abweichende Stellung ein, indem
er regelmäßig nicht zur Vorbereitung von Bundesratsbeschlüssen, sondern zur Entgegennahme
von Mitteilungen des Kaisers bestimmt ist (s. darüber unter §§ 21, 45).
Die einzelnen Mitglieder des Bundesrates sind als solche nicht Reichsbeamte; ob und
inwieweit sie die Eigenschaft von Beamten der Einzelstaaten haben, beantwortet sich, wie die
rechtliche Stellung der Bundesratsbevollmächtigten zu ihren Regierungen überhaupt, nach
Landesstaatsrecht. Reichsrechtliche Vorschriften über die Rechtsstellung der Bundesrats-
mitglieder finden sich in den Art. 9 und 10 RV.: Recht des Bundesratsmitgliedes, jederzeit
im Reichstage zu erscheinen und die Ansichten seiner Regierung auch dann zu vertreten, wenn
dieselben von der Mehrheit des Bundesrates nicht adoptiert worden sind; Unverträglichkeit
gleichzeitiger Mitgliedschaft an Bundestag und Reichstag (Art. 9); Gesandtencharakter, ins-
besondere also Exterritorialität der Bundesratsmitglieder im Verhältnis zu der Landesstaats-
gewalt des Einzelstaates, in welchem der Bundesrat seinen Sitz hat, also Preußens (Sinn des
Art. 10; vgl. dazu GVG. § 18 Abs. 2 Satz 2). Üüber die Prozeßprivilegien der Bundesrats-
bevollmächtigten vgl. 88 382, 402; 8 PO. 88 49, 72. Str PO.