Deutsches Staatsrecht. 105
stimmung des Reichstages als Reichsgesetz sanktioniert hat. Der Kaiser hat im Prozesse der
Reichsgesetzgebung weder Initiative noch Sanktion noch Veto; ja nicht einmal das blecherne
Schwert parlamentarischer Schein- und Schattenkönige, das suspensive Veto, ist ihm in die
Hand gegeben. Ein Monarch ohne staatsrechtlichen Einfluß auf die Legislative ist aber, zu-
mindest nach deutscher Auffassung und Tradition, kein Monarch. Anderseits paßt auch das
Schema der parlamentarischen Monarchie nicht auf das deutsche Kaisertum, denn was dem
Kaiser an der staatsrechtlichen Fülle monarchischer Gewalt fehlt, liegt nicht beim Reichstag,
sondern beim Bundesrat.
Das Kaisertum ist eine repräsentative und exekutive Organschaft eigener Art, welche ad
maiorem gloriam Germaniae ausgestattet ist mit vielen einzelnen Momenten und Merkmalen,
insbesondere auch mit den äußeren Attributen und Ehrenrechten der Monarchie: Unverant-
wortlichkeit und Unverletzlichkeit, erhöhtem strafrechtlichem Schutz der Person, Titel und Wappen,
Hof= und Kanzleizeremoniell.
Die dem Kaiser übertragenen Regierungsfunktionen sind im wesentlichen folgende. Zu-
nächst hat der Kaiser das Reich „völkerrechtlich zu vertreten“ (Art. 11 Abs. 1 RV.). Diese
Delegation ist eine ganz umfassende: die auswärtigen Hoheitsrechte des Reiches sind ausschließlich
dem Kaiser übertragen. Auf Grund dieser Übertragung hat der Kaiser die gesamte auswärtige
Politik des Reiches zu bestimmen, „im Namen des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu
schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu be-
glaubigen und zu empfangen“ (RV. Art. 11 Abs. 1). Die Zustimmungsrechte des Bundesrates
bei Erklärung von Angriffskriegen (Art. 11 Abs. 2) und beider gesetzgebenden Faktoren bei Ab-
schluß und Vollzug solcher Reichsverträge, welche in den Bereich der gesetzgebenden Gewalt
eingreifen (a. a. O. Abs. 3; vgl. unten § 45), sind intermer Natur und beschränken die Vollmacht
des Kaisers nach außen nicht.
Auf dem Gebiete der inneren Reichshoheitsrechte ist dem Kaiser übertragen: Verfügung
und Oberbefehl über die bewaffnete Macht Deutschlands zu Lande und zu Wasser; Ein-
berufung, Eröffnung, Vertagung, Schließung der Sessionen des Bundesrates und Reichstags
(während die Auflösung des Reichstags dem Bundesrat unter Zustimmung des Kaisers
zusteht; s. unten S. 109); das Recht, die Organisation der Reichsbehörden zu bestimmen,
das Recht der Ernennung aller Reichsbeamten, des Reichskanzlers an der Spitze, die dienst-
herrliche Gewalt über diese Beamtenschaft, die Oberleitung der gesamten „eigenen und un-
mittelbaren Reichsverwaltung“"; die Ausfertigung und Verkündigung, sowie Überwachung
der Ausführung der Reichsgesetze (RV. Art. 17, 36 Abs. 2); die Verordnungsgewalt, soweit
sie in der dienstherrlichen und Kommandogewalt enthalten ist, im übrigen, soweit spezielle
Verfassungs= oder einfache Gesetzesvorschriften den Kaiser zum Erlaß von Verordnungen
ermächtigen (s. unten § 42).
In den reichsunmittelbaren Gebieten (vgl. oben S. 64, 78); im Reichslande Elsaß-Lothringen
und in den Schutzgebieten ist die Zuständigkeit des Kaisers auf Grund besonderer Reichsgesetze
(s. unten §§ 24, 25) eine universelle, trägerschaftliche: er übt dort die Staats= bzw.
Schutzgewalt, d. h. die Regierungsgewalt des Reiches in ihrer Gesamtheit und zwar, in Um-
kehrung der normalen, für den Bundesrat streitenden Präsumtion (vgl. oben S. 97), im
Zweifelsfalle allein aus.
Die Ausübung der kaiserlichen Regierungsgewalt ist, den Grundsätzen des konstitutionellen
Staatsrechts entsprechend, überall ministerieller Verantwortlichkeit unterstellt, derart, daß jeder
Regierungsakt des Kaisers zu seiner Gültigkeit der verantwortlichen Gegenzeichnung des Reichs-
kanzlers bedarf (RV. Art. 17, s. unten § 23 und, betreffs der ministeriellen Funktionen des
Statthalters von Elsaß-Lothringen, § 24).
Ein im politischen Sinne vollständiges Bild der kaiserlichen Machtstellung im Reich ergibt
sich erst, wenn man die angegebenen Regierungsrechte des Kaisers im Zusammenhalt mit
seiner reichsverfassungsmäßig notwendigen Hausmacht betrachtet, wenn man bedenkt,
daß das kaiserliche Amt mit der Krone Preußen, also mit der monarchischen Herrschergewalt
über drei Fünftel aller Deutschen in untrennbarer Realunion verbunden ist.
Subjekt des Anspruchs, Kaiser zu sein und als solcher zu gelten, ist der Träger der preußi-
schen Königskrone. Wer dies jeweils ist, beantwortet sich nach preußischem Staatsrecht. Thron-