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standes, solange sie sich bei den Fahnen befinden (§ 49 RMilitG. vom 2. Mai 1874). Die Zu-
lassung zur Ausübung des Wahlrechts kann bei sonst zutreffenden Voraussetzungen nur am
Orte des Wohnsitzes (§7 WG.) von demjenigen beansprucht werden, dessen Name den
gesetzlichen und reglementarischen Vorschriften gemäß (§ 8 WG.) in die Wählerlisten
aufgenommen ist. — Das passive Wahlrecht (die Wählbarkeit) zum Reichstage kommt
nur denen, aber auch allen zu, welche das aktive Wahlrecht besitzen, einschließlich derjenigen,
deren Wahlrecht zurzeit ruht (Militärpersonen, Wohnsitzlose, Personen, deren Namen in den
Listen fehlt), soweit und sobald sie einem der Einzelstaaten seit mindestens einem Jahre an-
gehören (§ 4 WG.).
Wegen aller Einzelheiten des Wahlrechts und des Wahlverfahrens (Wahlkreise, Wahl-
bezirke, Anlegung der Listen, Wahlhandlung, Sicherung des Wahlgeheimnisses, Stichwahlen
usw.) ist hier auf das WG. und das zu seiner Ausführung vom Bundesrate erlassene Wahl-
reglement vom 28. Mai 1870 (BGl. S. 275, abgeändert durch den vom Reichskanzler am
28. April 1903 im RGBl. 202 ff. bekannt gemachten Bundesratsbeschluß) zu verweisen.
Jeder Reichstagsabgeordnete wird in einem besonderen Wahlkreise gewählt (also Uni-
nominal-, nicht Listensystem). Die Zahl der Wahlkreise und demgemäß der „Mandate“ zum
Reichstag des Norddeutschen Bundes ist durch §5 WG. auf 297 festgesetzt (wovon
auf Preußen 236 entfallen); die RV. Art. 20 Abs. 2 vermehrte diese Zahl um 48 bayrische,
17 württembergische, 14 badische, 6 hessische Wahlkreise bzw. Mandate; dazu sind auf Grund
des Gesetzes, betr. die Einführung der RV. in Elsaß-Lothringen, vom 25. Juni 1873 noch
15 Abgeordnete und Wahlkreise des Reichslandes gekommen, so daß bei unveränderter, auch
von dem Steigen der Bevölkerungszahl nicht berührter Fortgeltung dieser Normen die Zahl
der Mitglieder des Reichstages seit 1873 und heute 397 beträgt.
Die Grenzen der Wahlkreise sind — da das im WG. F 6 Abs. 4 verheißene Gesetz über
die Wahlkreiseinteilung bisher nicht ergangen ist — noch heute dieselben, welche einst zum Zwecke
der ersten Reichstagswahlen (Norddeutsches Bundesgebiet: 1867, südd. Staaten: 1871, Elsaß-
Lothringen: 1873) im Verwaltungswege festgesetzt wurden. Sie können nur durch Reichsgesetz
geändert werden.
Der verfassungsmäßige Wirkungskreis des Reichstages erstreckt sich, ohne Abweichung
von den herkömmlichen konstitutionellen Grundsätzen, auf die Mitwirkung bei der Gesetz-
gebung und bei der Finanzverwaltung des Reiches. Auf dem Gebiete der Gesetzgebung
steht dem Reichstage in Konkurrenz mit dem Bundesrate das Recht des Gesetzesvorschlags (die
Initiative; RV. Art. 23) und im Zusammenwirken mit jenem die Feststellung des Gesetzes-
inhalts zu (RV. Art. 5); ferner ist der Vollzug solcher Staatsverträge, welche in das Gebiet
der Reichsgesetzgebung eingreifen, von der Zustimmung des Bundesrates und der Genehmigung
des Reichstages abhängig gemacht (Art. 11 Abs. 3 a. a. O.). Die — durch die Beschlüsse des
verfassungberatenden Reichstages von 1867 gegenüber den Entwürfen der nordd. BV. stark
erweiterten und auch auf das heutige Maß gebrachten — finanzpolitischen Kom-
petenzen des Reichstags bestehen in dem Recht der Mitwirkung bei der Feststellung des Reichs-
haushaltsetats (RV. Art. 69), bei der Aufnahme von Anleihen und Garantien für die bzw. zu
Lasten der Reichskasse (Art. 73) und in dem Rechte der Kontrolle der Reichsfinanzverwaltung
(Art. 72). Durch besondere Verfassungsklauseln ist dem Reichstage die Mitwirkung bei Be-
schlüssen über den Bau oder die Konzessionierung von Eisenbahnen, welche im Reichsinteresse
notwendig sind (Art. 41 Abs. 1: „kraft eines Reichsgesetzes“), eingeräumt und ferner (Art. 23)
das Recht zugesprochen, an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrate oder dem Reichskanzler
zu überweisen. Daß der Reichstag auch von sich aus Petitionen, „Adressen“ an den
Bundesrat oder den Koeiser richten darf, ergibt sich aus der allgemeinen Stellung des Reichstags
im System der RV. und ist in der Praxis bisher nicht bezweifelt worden, ebensowenig wie
das Recht, den nach Art. 17 dem Reichstage verantwortlichen Reichskanzler zu inter-
pellieren. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber.
Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt
seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer (Art. 27).
Der Reichstag ist ein periodisch (nicht permanent) tagendes Kollegium. Seine Tätigkeits-
und Arbeitsabschnitte sind die Legislaturperioden, von denen jede in Sessionen