Deutsches Staatsrecht. 111
muß. Der Minister des Kaisers kann der preußischen Staatsregierung nicht subordiniert sein,
sondern muß selbst ihr angehören; wer im Reiche Minister, und zwar nach der Verfassung
oberster, leitender Minister, ist, kann in Preußen nicht bloß Referent, „Unterstaatssekretär für
deutsche Angelegenheiten" (Bismarck in der angeführten Reichstagsrede) bleiben, sonderm
muß Minister dieser Angelegenheiten sein. Nach dem oben S. 97 Anm. angegebenen, auch
für Preußen geltenden Grundsatz gehört nun aber die Wahrnehmung der Beziehungen zum
Reiche zum Geschäftskreis des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten (nicht des Präsidenten
des Staatsministeriums, wie zuweilen irrtümlich angenommen wird: der „Ministerpräsident“
hat nach der Organisation des preußischen Staatsministeriums lediglich formelle, geschäfts-
leitende Prärogativen ohne staatsrechtlichen Einfluß auf die Tätigkeit der einzelnen Ressort-
ministerien). Der Minister des Auswärtigen ist der Ressortminister dür die Reichsangelegen-
heiten, er hat den amtlichen Auftrag, die deutsche Politik Preußens zu führen, vor allem also
die preußischen Bundesratsinstruktionen entweder selbst zu erteilen 1 oder, falls sie vom Könige
unmittelbar ausgehen, verantwortlich gegenzuzeichnen. Der oben bezeichnete Fundamentalsatz
spitzt sich mithin zu der Forderung zu, die Amter des Reichskanzlers und des preußischen Ministers
der auswärtigen Angelegenheiten stetig personell zu unieren, während die UÜbertragung auch
noch des preußischen Ministerpräsidiums an den Reichskanzler zwar ebenfalls wünschenswert,
wenngleich nicht so sehr durch geschäftliche und politische Bedürfnisse geboten erscheint als jene
Union mit dem Ressort des Auswärtigen, denn nur die letztere gewährleistet (bei der bestehenden
Organisation des preußischen Staatsministeriums, welche auf dem Gedanken der Alleinherr-
schaft jedes Ministers in seinem Ressort beruht und dem Ministerpräsidenten keinerlei materielle
Prärogativen einräumt)? dasjenige, worauf es hier ankommt: die selbständige Disposition des
verantwortlichen Leiters der kaiserlichen Regierung über die Stimme und den Einfluß Preußens
im Bundesrate. Die Praxis hat diesen Anforderungen Rechnung getragen, indem die Ver-
einigung des Reichskanzleramtes mit dem preußischen Ministerium des Auswärtigen bisher
niemals, diejenige mit dem Ministerpräsidium aber auch nur zweimal vorübergehend (1873
und 1894) unterbrochen wurde und die Position des Reichskanzlers innerhalb des preußischen
Staatsministeriums in neuerer Zeit ferner durch die ständige Praxis verstärkt wird, einige seiner
Ressortstellvertreter (s. unten), insbesondere die Staatssekretäre des Auswärtigen Amts, des
Reichsamts des Innem, des Reichsmarineamts, zu Mitgliedern des Staatsministeriums zu
ernennen mit dem Auftrage, dort „Reichsgedanken, Reichspolitik zu vertreten“ (Bismarck,
Rede im Reichstage 10. März 1877).
Uber die Stellvertretung des Reichskanzlers im Vorsitz des Bundesrates s. oben S. 99.
2. Außerhalb des Bundesrates erscheint der Reichskanzler in der Stellung eines kaiser-
lichen Ministers: Art. 17 RV. (Amendement Bennigsenz; s. oben S. 111, 112). Hierin
liegt: der Reichskanzler ist Reichsbeamter; er wird vom Kaiser ernannt und entlassen;
sein Verhältnis zum Kaiser ist zunächst das dienstliche Unterordnungsverhältnis des nicht-
richterlichen, politischen Beamten. Er ist ferner Minister. Damit ist gesagt: jenes Unter-
ordnungsverhältnis zu dem kaiserlichen Dienstherrn zeigt die besondere und eigentümliche Ge-
staltung, welche sich aus dem Wesen der Ministewerantwortlichkeit (unten § 27) ergibt. Es
ist auf der einen Seite eine Stellung ad nutum: „der Reichskanzler und die Staatssekretäre ?5
können jederzeit ihre Entlassung erhalten und forder“ (RBeamtenges. vom 18. Mai 1907, § 35);
1 — wobei er politisch genötigt sein kann (und bei wichtigen Fragen in der Regel
genötigt sein wird), auf die Meinungen seiner Kollegen, der anderen preußischen Ressortminister,
Rücksicht zu nehmen (vgl. Bismarcks Reden im verfassungsberatenden Reichstage, 26. und
27. März 1867). Eine ausdrückliche Vorschrift, wonach die preußischen Bundesratsinstruktionen
vom Staatsministerium (Gesamtministerium) zu beschließen oder dort auch nur zu beraten wären,
besteht nicht (anderer Meinung anscheinend Rosenthal, Reichsregierung 31 Anm. 3, 57).
Freilich ist die Beratung im Staatsministerium üblich. Sie kann aber der alleinigen Zuständig-
keit und Verantwortlichkeit des Ressortministers, eben des Ministers des Auswärtigen, keinen Ab-
bruch tun. An dieser Ansicht muß, trotz der Einwände, welche Rosenthal a. a. O. dagegen
erhebt, festgehalten werden. »
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dort (S. 255) angeführte Rede Bismarcks im preuß. Hause der Abgeordneten 1873.
Über diese vgl. unten S. 114.