Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

114 G. Anschütz. 
Namen „Bundeskanzleramt“ eine oberste und vorerst einzige Behörde ins Leben ruft, zuständig 
„für die dem Bundeskanzler obliegende Verwaltung und Beaufsichtigung der durch die Ver- 
fassung des Norddeutschen Bundes zu Gegenständen der Bundesverwaltung gewordenen bzw. 
unter die Aufsicht des Bundespräsidiums gestellten Angelegenheiten, sowie für die dem Bundes- 
kanzler zustehende Bearbeitung der übrigen Bundesangelegenheiten“ (BGBl. 1867 S. 29). 
So erhielt der Bundesminister sein Ministerium. Aus dem Schoße des Bundes-(seit 1871: 
Reichs-)kanzleramts ist dann teils durch Verselbständigung anfänglich bestehender und nachmals 
errichteter Abteilungen dieses Amts (z. B. Post= und Telegraphenabteilung, Justizabteilung), 
teils durch Ubernahme ehemals preußischer Behörden (Ministerium der auswärtigen Angelegen- 
heiten, Marineministerium) in den Amtsorganismus des Reichs und das Ressort des Reichs- 
kanzlers, teils endlich durch Neuschöpfung selbständiger, aber dem Reichskanzler untergeordneter 
Behördenformationen (z. B. Reichseisenbahnamt, RGes. vom 27. Juni 1873) das System der 
heutigen obersten Reichsverwaltungsbehörden („Reichsämter“ im engeren Sinne) er- 
wachsen; ein 1879 im wesentlichen zum Abschluß gelangter Entwicklungsprozeß, welcher zu einer 
vollständigen Aufteilung der Geschäfte des ehemaligen Bundes- bzw. Reichskanzleramts 
unter eine Schar selbständiger, einander koordinierter Behörden (Chefs derselben sind 
meistens Spezialstellvertreter des Reichskanzlers, s. oben; regelmäßiger Titel: „Staatssekretär“) 
geführt, das „Reichskanzleramt“ (1879) aufgelöst und den Reichskanzler in die Stellung eines 
obersten Chefs und Premierministers versetzt hat, welcher nunmehr allen Ressorts gleich nahe 
und gleich femn steht, sie alle gleichmäßig zu beaufsichtigen und zu leiten hat, von der unmittel- 
baren Verbindung mit ihnen aber losgelöst ist (Bureau oder Kabinett des Reichskanzlers unter 
dem Namen „Reichskanzlei“ seit 1879). Die gegenwärtig bestehenden Ressort-Unterministerien 
des Reichs, „Reichsämter“ im engeren Sinne sind folgende: 
1. Das Reichsamt des Innerrn t(geschaffen 1879; Restzuständigkeit des damals 
aufgehobenen Reichskanzleramts, Präsumtion der Kompetenz gegenüber den anderen Reichs- 
ämtern). Es ist in vier Abteilungen gegliedert. Ressortmäßig untergeordnete Stellen sind 
insbesondere: das Statistische Amt, Gesundheitsamt, die Normaleichungskommission, das Kanal- 
amt, Schiffvermessungsamt, ferner das Reichsversicherungsamt, Bundesamt für das Heimats- 
wesen, Oberseeamt, Patentamt, kaiserliches Aufsichtsamt für Privatversicherung; — diese 
letzteren fünf im Rahmen ihrer rechtsprechenden (nicht verwaltenden) Kompetenz mit richter- 
licher Unabhängigkeit ausgestattet. 
2. Das Auswärtige Amt lseit 1. Januar 1870; vorher Verwaltung der auswärtigen 
Angelegenheiten des Norddeutschen Bundes durch das preußische Ministerium des Auswärtigen, 
welches seitdem nominell nicht aufgehoben, aber mit dem Auswärtigen Amt des Bundes, dann 
Reiches real und personell uniert wurde). Drei Abteilungen: die politische, die handelspolitische 
und die Rechtsabteilung. Nachgeordnete Stellen sind insbesondere die Kaiserlichen Missionen 
— Botschaften, Gesandtschaften, Ministerresidenturen — und die Konsulate. 
3. Das Reichsmarineamt für die Verwaltungs-(nicht Kommandozangelegen- 
heiten der Kriegsmarine des Reichs, unter diesem Namen seit 1889, heworgegangen aus dem 
1872 als „Kaiserliche Admiralität“ auf das Reich übernommenen preußischen Marineministerium. 
4. Das Reichsjustizamt (1874 geschaffene, 1876 verselbständigte Abteilung des 
ehemaligen Reichskanzleramts), für die Justizverwaltung (außer der dem Präsidenten des 
Reichsmilitärgerichts (Militär-Strafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 § 111] über- 
tragenen Militärjustizverwaltung) des Reichs und die Gesetzgebungsarbeiten auf dem Gebiete 
des Justizwesens. 
5. Das Reichspostamt. 6. Das Reichsschatzamt. — Die Chefs der bisher 
genannten sechs Reichsämter führen den Titel „Staatssekretär“ und sind bisher stets mit der 
Stellvertretung des Reichskanzlers betraut worden. — 7. Das Reichsamt fürdie Ver- 
waltung der Reichseisenbahnen (Vorstand war bisher immer der preußische 
Minister der öffentlichen Arbeiten, wodurch die Verwaltung der Reichseisenbahnen mit der 
der preußischen Staatseisenbahnen in Personalunion gesetzt wird). Die unmittelbare Ver- 
waltung der Reichseisenbahnen (diese befinden sich ausschließlich in Elsaß-Lothringen) erfolgt 
durch die dem Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen untergeordnete General-
	        
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