Deutsches Staatsrecht. 115
direktion der Reichseisenbahnen (Amtssitz Straßburg). — 8. Das Reichseisenbahn-
amt (Res. vom 27. Juni 1873), beauftragt mit der Handhabung der Eisenbahnhoheitsrechte
(RNV. Art. 41 ff.) des Reichs über die deutschen Staats- und Privatbahnen. — 9. Das Reichs-
kolonialamt: die Zentralstelle für die Verwaltung der Schutzgebiete mit Ausnahme
Kiautschous (s. unten § 25), heworgegangen aus der ehemaligen Kolonialabteilung des Aus-
wärtigen Amts: Kaiserl. Erlaß vom 17. Mai 1907 (RGBl. 239).
Weitere oberste Reichsverwaltungsbehörden sind: a) die Reichsbankbehörden:
Reichsbankdirektorium und Reichsbankkuratorium — diese wie die Reichsämter im engeren
Sinne unter Oberleitung und Verantwortlichkeit des Reichskanzlers arbeitend —, und b) die
sog. selbständigen Reichsfinanzbehörden: Reichsschuldenverwaltung, Reichs-
schuldenkommission, Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, Rechnungshof des Deutschen Reiches
(I. unten & 47 a. E.), welche der Leitungsgewalt des Reichskanzlers entrückt sind und ihre Geschäfte
in Unabhängigkeit von ihm unter selbständiger, eigener Verantwortlichkeit führen. Sie gleichen
in dieser ihrer Unabhängigkeit den richterlichen Reichsbehörden, den Reichs-
gerichten im weiteren Sinne, deren Amtstätigkeit sich ebenfalls unter Ausschluß jedes Ein-
greifens, also auch jeder Verantwortlichkeit des Reichskanzlers vollzieht. Die Reichsgerichte
zerfallen in die drei Kategorien der Justiz-, d. h. Zivil- und Strafgerichte (Reichsgericht,
Reichsmilitärgericht, Marinegerichte, Konsular= und Schutzgebietsgerichte), Disziplinar-
und Verwaltungsgerichte (Näheres bei Laband 1 F 41—43.
§ 24. Das Reichsland Elsaß-Lothringen 1
Der Wiedererwerb dieser dem alten Reich einst geraubten Gebiete und ihre staatsrechtliche
Angliederung an das neue Reich vollzogen sich in folgenden Vorgängen und Formen. Nach
den siegreichen Schlachten der ersten Augusthälfte des Jahres 1870 wurden die französischen
Gebietsteile, welche heute das Reichsland bilden, von den verbündeten deutschen Heeren okku-
piert, und zwar, im Gegensatz zu den weiterhin noch besetzten Teilen Frankreichs, okkupiert
mit dem Willen und in der Absicht, sie zu behalten. Elsaß-Lothringen wurde also erobert
und damit kraft eines vollgültigen Titels des Völkerrechts zunächst unter die Gesamtherrschaft
der kriegführenden Parteien — des Norddeutschen Bundes, Bayerns, Württembergs und
Badens —, sodann aber, seit und mit Gründung des Reichs (1. Jan. 1871), in den Besitz des
letzteren gebracht. Die Anerkennung dieser Tatsache durch die Friedensschlüsse mit Frankreich
(Präliminarfriede von Versailles, 26. Februar 1871, definitiver Friede von Frankfurt, 10. Mai
1871) bedeutete zugleich eine Novation des völkerrechtlichen Erwerbstitels: an Stelle der Er-
oberung und kriegerischen Okkupation trat die vertragsmäßige Abtretung (Zession). Damit
war Elsaß-Lothringen dem Reich völkerrechtlich (d. h. mit Rechtswirkung gegenüber
dritten Staaten einschließlich des bisherigen Herrschers) erworben; es entstand nun die Frage,
wie und in welcher Eigenschaft dies Land dem Reiche staatsrechtlich anzugliedern und
einzuordnen sei. Drei Wege boten sich dar: Kreierung eines neuen, 26. Einzelstaates mit dem
Status der anderen, Einverleibung in einen oder mehrere der bestehenden Einzelstaaten,
Stellung des Landes unter die unmittelbare und ausschließliche Herrschaft der Reichsgewallt.
Jeder der beiden ersten Wege hätte an einer grundsätzlichen Neuerung in den bestehenden
bundesstaatlichen Verfassungszuständen des Reichs vorbeigeführt; man verwarf sie beide zu-
gunsten des dritten, welcher zu einem Novum führte: zur Erstreckung der Reichsgewalt über
ein Gebiet, wo sie allein herrscht, ohne, wie sonst überall, eine Einzelstaatsgewalt (Landes-
1 Literatur: Laband 2 211 ff. (berücksichtigt die neuesten Rechtsänderungen, Ver-
fassungsgesetz v. 31. Mai 1911); Zorn 1 19—21; G. Meyer § 71, 138—141; Schulze,
Deutsches Staatsr. 2 354. — Leoni und Mandel, Das öffentl. Recht des Reichslandes
Elsaß-Lothringen, 2 Bde. (1892, 1895); Loening, Verwaltung des Generalgouvernements
im Elsaß (1874); Stöber im Archiv l. öff. R. 2 646 ff.; Rosenberg, Die staatsrechtliche
Stellung von Elsaß-Lothringen (1896); Bruck, Verfassungs- und Verwaltungsrecht von Elsaß-
Lothringen, 3 Bde. (1908/09); Kommentare zum Verfassungsgeset vom 31. Mai 1911 von
Alfred Schulze (1911) und F. F. Heim (1911); Schoenborn, Die elsaßllothringische
Verfassungsreform von 1911, im Jahrb. des öff. Rechts 6 (1912), 222 ff.; Rehm, Das Reichs-
land Elsaß-Lothringen (1912).
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