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deutschen Schutzgebiete: über den an der Meeresküste belegenen Teil desselben wurde der „Schutz
des Deutschen Reichs“ erklärt durch Erlaß des Reichskanzlers vom 24. April 1884; dieser Erlaß
war der Eröffnungsakt der deutschen Kolonialpolitikt); 2. Kamerun. Mit diesem Schutz-
gebiet sind vereinigt worden die von Frankreich im Zusammenhange mit dem Marokkovertrage
(vom 4. November 1911) an das Reich abgetretenen, bis dahin zu dem französischen Kongogebiet
gehörigen Territorien (vgl. deutsch-französischer Vertrag vom 4. November 1911, Rl. 206);
3. Togo; 4. Ostafrika; . das Schutzgebiet Neu-Guinea, umfassend Kaiser-Wilhelms-
land auf Neuguinea, den Bismarck-Archipel und die Salomonsinseln; 6. das sog. Inselgebiet:
die Archipele der Marschall--, Brown= und Providence-Inseln, der Karolinen, Palau und Marianen;
7. Samoa,, d. h. die westlich vom 171. Längengrade liegenden Inseln der Samoagruppe;
8. das Gebiet von Kiautschou.
Die Erwerbstitel, welche die Herrschaft des Reichs über diese Länder völkerrecht-
lich, also mit Ausschlußwirkung gegenüber dritten Staaten, begründeten, sind teils originäre,
teils derivative, je nachdem es sich um vormals herrenlose oder um solche Gebiete handelt, die
vor dem Erwerb durch das Reich bereits einem Staate der Völkerrechtsgemeinschaft gehörten.
So wurden originär — im Wege der Okkupation — erworben sämtliche afrikanische
Kolonien (mir Ausnahme des von Frankreich durch den Vertrag vom 4. November 1911
(s. oben) erworbenen Gebietes im äquatorialen Westafrika, sowie eines von dem Sultan von
Zanzibar im Jahre 1890 formell an das Reich zedierten Küstenstrichs bei Zanzibar), fermer die
oben unter Nr. 5 und 6 angeführten Besitzungen auf Neu-Guinea und in der Südsee; derivativ
dagegen, durch Zession seitens der Vorbesitzer, die übrigen Schutzgebiete: Kiautschou auf
Grund des Vertrages mit China vom 6. März 1898 (Gebietsabtretung, zwecks Verschleierung
der wahren Vertragsabsicht eingekleidet in die Form einer „Verpachtung vorläufig auf 99 Jahre“),
die Karolinen usw. durch Vertrag mit Spanien vom 30. Juni 1899 (Abtretung an das Reich
gegen Zahlung von 25 Mill. Peseten), Samoa vermöge der Auflösung des vormaligen, nach
der Samoa-Akte vom 14. Juni 1889 dem Deutschen Reich, England und den Vereinigten Staaten
von Nordamerika gemeinschaftlich zustehenden Kondominates (Kollektivprotektorates) über diese
Inseln durch Vertrag der drei Mächte vom 2. Dezember 1899.
Die Vorahme und der Abschluß aller dieser teils okkupatorischen, teils vertragsförmigen
Erwerbsgeschäfte war, als Gegenstand der auswärtigen Politik, Sache des Kaisers (RV. Art. 11;
s. oben S. 105, unten 172, 173). Er allein war und ist legitimiert, von Dritten und Dritten gegen-
über dem Reiche Kolonien zu erwerben. Dagegen war er von vornherein nicht zuständig, die
staat srechtliche Angliederung der Schutzgebiete an das Reich zu vollziehen, d. h. das Ver-
hältnis dieser Erwerbungen zum Reich und die Formen zu bestimmen, in denen die Reichs-
herrschaft dort aufzurichten und auszuüben sei. Insbesondere konnte er ein solches Bestimmungs-
recht nicht aus seiner Prärogative im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten (RV. Art. 11)
herleiten, denn sobald der Erwerb eines neuen Landesteils perfekt geworden ist, verwandelt
sich die auf ihn bezügliche Staatstätigkeit aus einer auswärtigen in eine innere Angelegen-
heit; die inneren Hoheitsrechte des Reiches aber sind — oben 3 21 S. 104, 105 — dem Keaiser nicht
allgemein und grundsätzlich übertragen, stehen vielmehr dem Bundesrat zu, soweit Ver-
fassung oder Gesetz nicht ein anderes bestimmen. Da nun, anders wie Elsaß-Lothringen, die
Kolonien dem Reichsgebiete nicht einverleibt, auch in ihnen die Reichsverfassung nicht ein-
geführt wurde, war zunächst nach der Inauguration der deutschen Kolonialpolitik, 1884—1886,
unzweifelhaft der Bundesrat zuständig, zu bestimmen, ob er selbst oder wer sonst in den
Schutzgebieten namens des Reichs regieren solle, und wie diese Regierung zu führen sei. Tat-
sächlich wurde die Ausübung der Staatsgewalt in den Schutzgebieten dem Kaiser über-
lassen, — eine stillschweigende Ermächtigung, welche alsdann durch das RG. über die
Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete vom 17. April 1886 ausdrücklich und
allgemein, mit Wirkung für alle erworbenen und künftig zu erwerbenden Schutzgebiete, erteilt
letzthin aber wiederum eingeschränkt wurde, indem das RGes. vom 16. Juli 1912 (oben S. 79)
vorschreibt: „Zum Erwerb und zur Abtretung eines Schutzgebietes oder von Teilen eines solchen
bedarf es eines Reichsgesetzes." «
.DasGefetzüberdieRechtsverhältnissederSchutzgebiete,seithermehrfach(insbes.dukch
RG.vom15.Mär31888,RGBl.71)revidiert,hatseineheutegeltendeFassungerhaltendurch