Deutsches Staatsrecht. 121
R. vom 25. Juli 1900 und ist auf Grund des letzteren vom Reichskanzler unter dem 10. Sep-
tember 1900 (REl. 813 ff.) als „Schutzgebietsgesetz“ (SchG.) neu publiziert worden 1. Es
bestimmt in 5 1: „Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt
der Kaiser im Namen des Reichs aus."“ Nächster Sinn und Zweck dieser Vor-
schrift ist, dem Kaiser das Recht zu übertragen, in den Ländem, die er auf Grund eines Reichs-
gesetzes (s. oben) dem Reiche als Schutzgebiete erwirbt, die Reichsherrschaft aufzurichten, einzu-
richten und zu handhaben. Die Rechts- und Verwaltungsordnung der Schutzgebiete wird grund-
sätzlich durch kaiserliche Verordnungen geregelt. Jedoch vorbehaltlich folgender Beschränkungen:
1. Die allgemeine rechtliche Natur der Schutzgebiete steht gesetzlich fest und kann vom
Kaiser nicht verändert werden. Aber diese Natur ist zu sagen: die Schutzgebiete sind nur Ob-
jekte der Reichsherrschaft, nicht Mitglieder des Reichs. Sie sind weder Einzelstaaten, noch
gehören sie zu solchen, noch sind sie ihnen in irgendwelcher Beziehung gleichgestellt. Sie sind
ummittelbares Reichsland, wie Elsaß-Lothringen, darin jedoch von letzterem grundsätzlich ver-
schieden, daß sie nicht, wie dies „Reichsland“ im engeren Sinne, in das Reichsgebiet (Art. 1 RV.)
einbezogen, nicht als Bestandteil, sondem als Zubehör des Reichsgebietes anzusehen
sind. Das Schutzgebiet gilt grundsätzlich nicht als Inland, sondern als Ausland, soweit
nicht das Gesetz für einzelne Beziehungen ein anderes bestimmt (wie z. B. durch SchGG. 9
Abs. 3 und Reichs- und Staatsangehörigkeitsges. vom 22. Juli 1913 & 2 Abs. 2 geschehen) oder
das Gegenteil sich aus der Natur der Sache ergibt (Beispiel: andern Staaten gegenüber sind
die Schutzgebiete deutsches Land, also Inland; Angriffe fremder Mächte auf die Schutzgebiete
sind Angriffe auf deutsches Inland, wenn auch nicht auf das „Bundesgebiet“ im Sinne von
NV. Art. 11 Abs. 2). Die Bewohner der Schutzgebiete sind als solche, a priori, nicht Deutsche,
sie sind dies insbesondere durch den Erwerb des betreffenden Gebietes durch das Reich nicht
geworden und können, abgesehen von den allgemeinen Vorschriften des Reichs- und Staats-
angehG. vom 22. Juli 1913 (s. oben § 16, S. 86) die Reichsangehörigkeit nur durch Ver-
leihung erlangen, welche — hier ohne gleichzeitige Mitbegründung einer Landesangehörigkeit —
der Reichskanzler oder eine von ihm bezeichnete Behörde erteilt: R.= und Staatsangeh G.
§ 33 Nr. 1.
2. Die dem Kaiser durch das Sch G. übertragene Regierungsgewalt ist materiell und
formell Reichsgewalt, daher „im Namen des Reichs' (SchGG. §F 1) und unter steter Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers auszuüben. Die Regierungsakte des Kaisers bedürfen auch im
Bereiche der Kolonialverwaltung der Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Die Stellvertretung
des letzteren regelt sich nach allgemeinen Grundsätzen: RG. vom 17. März 1878 (s. oben S. 113);
der zuständige Ressortstellvertreter ist der Staatssekretär des Reichskolonialamts (s. unten).
3. Soweit die Rechtsordnung der Schutzgebiete reichsgesetzlich festgelegt ist, kann der
Kaiser nichts dawider anordnen. Dies ist geschehen bezüglich des gesamten Privat-, Straf-
und Prozeßrechts. Es gelten gemäß § 3 Sch G. in Verbindung mit § 19 des RG. über die
Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900 in den Schutzgebieten die dem bürgerlichen Rechte
angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze und die daneben nach dem Einf G. z. BGB. noch
in Kraft verbliebenen preußischen Gesetze des ehemaligen Landrechtsgebietes, die Vorschriften
der bezeichneten Gesetze über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und über die
freiwillige Gerichtsbarkeit, sowie die Reichsgesetze über Straf- und Strafprozeßrecht. Auf
allen diesen Gebieten kann sich die kaiserliche Verordnungsgewalt im allgemeinen nicht, sondern
nur im Rahmen der besonderen, ausdrücklichen Ermächtigungen des § 4 (Recht des Kaisers, das
Privat-, Straf- und Prozeßrecht der Eingeborenen durch Verordnung zu regeln) und
des § 6 Nr. 1—9 Sch G. betätigen.
4. Da die Verwaltung der Schutzgebiete überhaupt und insbesondere in finanz-
rechtlichem Sinne Reichsverwaltung ist, so folgt, daß diese Verwaltung dem Budgetrecht
(RV. Art. 69) und dem Kontrollrecht (RV. Art. 72) des Bundesrates und Reichstags ebenso
unterliegt wie jeder andere Zweig der Reichsfinanzverwaltung. Es ist also insbesondere der
1 Eine wichtige Ergänzung des Sch G. ist das Kolonialbeamtengesetz vom 8. Juni 1910
(RGBl. S. 881).