Deutsches Staatsrecht. 123
lehnsherrliche, schutzherrliche, grundherrliche, Regalrechte, alle unvermittelt nebeneinander
stehend, auf verschiedenartige Erwerbstitel sich gründend, eine Vielheit, welche allein deshalb
als Einheit erscheint, weil sie einem gehört. Dieser eine ist der Landesherr. Er besitzt die
Landeshoheit wie eine Vermögensmasse; ihm und seinem Hause gehört insoweit, erb- und
eigentümlich, das Land. Es ist deutlich, wie der Landeshoheit mittelalterlichen Stils nicht so-
wohl das Maß wie die Art moderner Staatsgewalt fehlt. Esfehlt ihr jede organ-
schaftliche Struktur. Diese muß fehlen, weil in den Kreis der Anschauungen über
das Verhältnis von Landesherr und Land der Begriff des Gemeinwesens noch nicht
eingekehrt ist, weil das Land noch ganz Besitztum und noch gar nicht Staat ist. Die Landes-
hoheit ist ein patrimonium, kein imperium. ihre Ausübung nicht so sehr Regierung (Staats-
herrschaft) als Besitz und Nutzung (Eigentumsherrschaft); der Landesherr verhält sich zum Lande
wie das Subjekt von Rechten zu deren Objekt. Diese patrimonial-ständische Entwicklungsstufe
der deutschen Landesverfassung wird seit dem 17. Jahrhundert, vorab in den größeren Ländern,
abgelöst durch die absolute Monarchie; damit beginnt nicht sowohl ein Periode unbeschränkter
Fürstenmacht als die Zeit des modernen Staates. Es wäre einseitig, an diesem Zeitalter lediglich
die Beseitigung des fragmentarischen Wesens der Landeshoheit, die Erweiterung der letzteren
zu einer allumfassenden, die Totalität sämtlicher Hoheitsrechte in sich begreifenden Gewalt
hervorzuheben; wichtig vor allem, eine Errungenschaft von dauernder Bedeutung ist das andere:
die Landeshoheit wechselt ihr Subjekt und zugleich ihre rechtliche Natur. Sie wird zur Staats-
gewalt, zu einer Gewalt, welche dem Staate, das heißt dem nun nicht mehr als Besitz-
tum, sondern als Gemeinwesen vorgzestellten Lande, zusteht und durch den Landesherrn
organschaftlich ausgeübt wird. Es ist ein gewaltiger Fortschritt des politischen Denkens, welcher
in erster Linie der naturrechtlichen Staatstheorie zu verdanken und durch den „aufgeklärten“
(d. h. die patrimonialen, patriarchalen, theokratischen Vorstellungen des Mittelalters abstreifen-
den, den rationalistischen Gedankenkreisen des Naturrechts sich zuwendenden) Absolutismus
des 18. Jahrhunderts zum ersten Male verwirklicht worden ist. Wiederum ist hier an die oben
S. 9, 10 erwähnten Dokumente jener Ara, ist an das Wort Friedrichs des Großen
vom König als erstem Diener des Staates und den & 1 II 13 des Allg. R. zu erinnenn. Das
Ergebnis der Entwicklung unter der absoluten Monarchie läßt sich dahin zusammenfassen, daß
damals der moderne Staat entstand und den Landesherrn als sein Oberhaupt und höchstes
Organ in sich aufnahm.
Damit war dem Monarchen eine Rechtsstellung im Staate angewiesen, an welcher die
nun folgende heutige Entwicklungsstufe des Staatsrechts, die konstitutionelle Ordnung, grund-
sätzlich nichts, sondern nur insofern geändert hat, als sie die Ausübung der Staatsgewalt durch
den Monarchen an verfassungsmäßig bestimmte Formen und Schranken gebunden hat. Darüber
ist oben, § 7, gesprochen worden.
Die rechtliche Stellung des Monarchen im Staate nach heutigem deutschem Landesstaats-
recht läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen:
1. Es ist zunächst eine Stellung im Staate, nicht außer und über diesem. Die Krone
ist, wie schon zur absolutistischen Zeit, so heute erst recht, eine Staatsinstitution, die Rechtssätze
über die Kompetenz des Monarchen sind Staatsrecht, der Monarch mit allen seinen Rechten
hat seinen Status im Staate, nirgends sonst. Gegen die oft wiederholte Wendung von dem
„eigenen“" Recht der Krone läßt sich nichts einwenden, wofern damit nur die historische
Tatsache bezeichnet werden will, daß die Kronrechte ihrem Träger nicht erst durch die Ver-
fassungsurkunde übertragen worden sind (s. oben, Eingang dieses Paragraphen). Jeder andere
Sinn, der in das „eigene Recht"“ hineingelegt werden könnte, widerspricht der geschichtlichen
Entwicklung und dem Wesen des modernen Staates, ist daher abzuweisen. Unrichtig wäre
zunächst die Auffassung dieses angeblichen ius proprium als ein über- oder außerstaatliches Recht.
Der Rechtsgrund der Monarchie, die Zuständigkeit der Krone beruhen nicht in einer außerstaat-
lichen, sondern in der staatlichen Rechtsordnung; zu Anderungen im Bestand und Wesen der
Kronrechte ist ein (gesetzgeberischer, vorgeschriebenenfalls in den Formen der Verfassungsänderung
vorzunehmender) Staatswillensakt erforderlich und ausreichend. Irrtümlich ferner wäre die
Unterstellung, als handle es sich bei der Kompetenz der Krone um „eigenes“, weil dem Monarchen
persönlich gehörendes Recht.