Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 9 
monialtheorie einer eigehenden Widerlegung heute nicht mehr bedarf; wir sind über die Zeiten 
hinaus, da die politischen Anschauungen noch in den Kinderschuhen und Land, Leute, Landes- 
hoheit in der Privatschatulle des Landesherrn steckten. 
2. Eine moderne Form der Objekttheorie ist geschaffen worden von M. v. Seydel. 
„Bezeichnet man, um einen kurzen Ausdruck zu gewinnen, der auch sprachgebräuchlich ist, Land 
und Leute, welche der Herrschaft unterworfen sind, als Staat, dann sind Herrscher und Staat 
voneinander geschieden, wie Subjekt und Objekt“ (Bayerisches Staatsr. 1 170). „Ich be- 
zeichne Land und Leute, insofern dieselben einem Herrscherwillen unterworfen sind, als Staat, 
ähnlich wie man im bürgerlichen Rechte eine Sache Eigentum nennt, wenn sie einen Herm 
hat“ (Annalen des Deutschen Reichs 1898, S. 324). Diese Lehre Seydels, gangbar unter 
dem Namen „Herrschertheorie“, außer Seydel noch vertreten von Lingg und 
(mit gewissen Vorbehalten) von Bornhak, ist nichts anderes als die modern umgeformte 
und ins Offentlichrechtliche übersetzte Patrimonialtheorie. An Stelle der privaten, rein 
egoistischen Sachherrschaft setzen die modernen Vertreter der Objekttheorie eine öffentlich-rechtliche, 
im Interesse der Beherrschten auszuübende Herrschergewalt, die aber — und das ist der aus dem 
Patrimonialsystem übernommene Irrtum — einem Subjekt zugeschrieben wird, welches außer 
und über dem Staate steht: dem „Herrscher“. Das Abwegige dieser Theorie ist leicht ein- 
zusehen. Sie nennt einerseits „Staat“, was nur Element und Grundlage des Staates ist: Land 
und Leute. Andererseits behandelt sie als rechtlich identisch mit dem Staat diejenigen Einzel- 
personen oder Personenverbindungen, welche namens des Staates organschaftlich zu handeln 
berufen sind. Sie redet von Rechten des Herrschers, also z. B. des Königs, wo es sich um 
Rechte des Staates handelt, und setzt sich dadurch in Widerspruch mit dem positiven Recht der 
einzelnen Staaten, welches überall nichts davon weiß, daß der Monarch „Inhaber des Staats- 
vermögens“ (Seydel, Bayer. Staatsr. 1 171) oder gar, daß er „selbst der Staat ist“ (Born- 
hak, Staatslehre, S. 13), vielmehr die Begriffe „Staat“ und „Staatsoberhaupt"“ schon in den 
Zeiten der absoluten Monarchie unterschied und heute noch viel schärfer unterscheidet. Der 
„Herrscher“, richtiger das Staatsoberhaupt oder der Träger der Staatsgewalt (s. unten 
3 III) ist keineswegs „Inhaber“ des Staatsvermögens, sondern steht zu dem letzteren wie 
der Verwalter zu dem seiner Fürsorge anvertrauten fremden Gut. Weiterhin muß gegen die 
Herrschertheorie der Einwand erhoben werden, daß sie die Einheit des Staatsbegriffse zerstört. 
Nichts anderes nämlich wird bewirkt, wenn man unter der Firma „Herrscher“ ein dem Staate 
selbst zugehöriges, ihm innewohnendes Element, die Staatsgewalt, aus dem Begriffe 
des Staates herausreißt und es dem Staate als eine außer ihm stehende Potenz überordnet 
(ogl. Jellinek, Staatsl. 1 157 ff). Das heißt einen lebendigen Leib enthaupten und den ab- 
geschlagenen Kopf noch zum Herrscher über den Rumpf erklären. Gewiß regiert der Kopf den 
Leib, aber der Kopf ist doch selbst nur etwas am Leibe, und ebenso gewiß ist das Staatshaupt 
nur etwas am Staate, nicht identisch mit dem Staat. Das, was Seydel und Bornhak 
den Herrscherwillen nennen, ist Wille des Staates selbst, ist Staatsgewalt, d. h. des Staates 
Gewalt (s. unten § 3, I, III). Diese aber ist keine den Staat, will sagen das rechtlich geeinte 
Volk von außen her ergreifende, transzendente, sondern eine ihm immanente Gewalt. Die 
Herrschertheorie begeht den Fehler, daß sie den Sitz dessen, was den Staat beseelt, was seine 
Einheit im Innersten zusammenhält, außer und über der Volksgesamtheit, anstatt in ihr sucht. 
3. Auf gleichen Grundanschauungen wie die Seydelschen beruhend, unterscheiden 
sich die Staatstheorien Bornhaks und Loenings darin von der Seydelschen Lehre, 
daß sie die Bezeichnung Staat nicht, wie Seydel, auf Land und Leute als das „Objekt“ 
in der Hand des Herrschers anwenden, sondern — hierin wieder untereinander abweichend — 
den Herrscher für den Staat selbst erklären (so Bornhak, Staatsl., S. 13) oder das 
Verhältnis des Herrschers zu dem „Objekt“, dem beherrschten Staatsvolk, „Staat" 
nennen (Loening, Art. Staat im Handwörterb. der Staatswiss., Bd. 7 S. 702 ff.). 
1 Ich denke hier an Sätze des preußischen Allgem. Landrechts (1794), wie die: „Alle Rechte 
und Pflichten des Staates gegen seine Bürger vereinigen sich in dem Oberhaupte des- 
selben“" (2 13, & 1). „Einzelne Grundstücke ..., deren Eigentum dem Staate und die aus- 
schließende Benutzung dem Oberhaupte desselben zukommt, werden Domänen= oder 
Kammergüter genannt“ (2 14, 5 11).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.