Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

128 G. Anschütz. 
durch das Reichsrecht (88 12, 13 GVG. in Verb. mit §§ 453 ff. St PO.) den ordentlichen Ge- 
richten ausschließlich übertragen und eine Zulassung der Staatsgerichtshöfe als „besondere 
Gerichte“ (§ 14 GVG.) nicht erfolgt ist. 
8 28. Der Erwerb des Rechts auf die Krone (das Thronfolgerecht) 1. 
Das Recht auf die Krone ist, dem übereinstimmenden Charakter der deutschen Monarchien 
als Erb monarchien entsprechend, der Regel nach ein nur durch Geburt zu erwerbendes, an- 
gestammtes Recht. Man pflegt, soweit dieser Regel- und Normalzustand reicht, von „ordent- 
licher Thronfolge“ zu sprechen. Nur ganz ausnahms- und aushilfsweise („außerordentliche 
Thronfolge") sind Erwerbsgründe anerkannt, welche mit Abstammung und Geblütsrecht nichts 
zu tun haben. 
1. Das ordentliche Thronfolgerecht ist ein Inbegriff von Rechtssätzen, 
welche die sukzessionsberechtigten Mitglieder einer bestimmten Familie, des regierenden Hauses 
(der Dynastie), in einer festen Reihenfolge, der Sukzessionsordnung, auf den Thron berufen, 
derart, daß im Falle der Thronerledigung der Nächste in der Reihe jedesmal vorausbestimmt 
ist und ipso jure auf den erledigten Thron folgt. 
Dieses Thronfolgerecht ist mit den übrigen monarchischen Institutionen geworden und ge- 
wachsen. Es steht zunächst auf dem nämlichen Rechtsboden wie das deutsche Landesherrentum 
überhaupt: auf dem Boden rein patrimonialer Auffassung des Verhältnisses von Landesherr und 
Land (s. § 4, S. 31; §3 31 S. 136; es tritt in die geschichtliche Entwicklung ein als ein Stück Sonder- 
privatrecht des höchsten Geburtsstandes, als die Ordnung, welche die Erbfolge in die Besitzungen 
des deutschen Fürstenstandes, die Länder, regelt. Das Thronfolgerecht war damals eine wahre 
Erbfolge im privatrechtlichen Sinne des Wortes. Unter Lebenden ein brauch- und gangbares 
Objiekt für Rechtsgeschäfte von mancherlei Art (Kauf, Tausch, Verpfändung), wurde die Hoheit 
über ein deutsches Land beim Tode ihres jeweiligen Besitzers zur Verlassenschaft, über 
deren Vererbung subsidiär gemeinrechtliche Normen (das Lehnrecht, bei den — selten vorkommen- 
den — allodialen Territorialherrschaften auch wohl das Stammgüterrecht), in erster Linie aber 
die Satzungen und das Herkommen der einzelnen fürstlichen Familie, also hausrechtliche Regeln, 
entschieden. Und das Hausrecht ließ wiederum der rechtsgeschäftlichen Bestimmung des einzelnen 
Erbfalls durch Vertrag und letztwillige Anordnung weiten Spielraum. Längere Zeit nach 
der Entstehung der Landeshoheit, im 13. und 14. Jahrhundert, hat eine so gut wie schrankenlose 
Vertrags= und Testierfreiheit gegolten; Teilungen der Landeshoheit, des Landes in diesem Sinne 
unter gleich nahe Erben waren damals ebenso zulässig wie üblich. Doch erwies sich diese Epoche 
bald als Episode. Das dynastische Familieninteresse selbst reagierte gegen das Teilungsunwesen. 
In der sehr begründeten Furcht vor Zersplitterung des Familienbesitzes, vor Abtrennungen auf 
Nimmerwiederkehr schritten die Dynastien, ihre Autonomie gebrauchend, vielfach zur Proklamation 
des Unteilbarkeitsprinzipes durch Hausgesetze im weiteren Sinne (teils in Vertrags-, 
teils in Testamentsform gehalten; Beispiel: die kurbrandenburgische Dispositio Achillea von 1473). 
Das gleichgerichtete Interesse der Stände an der Unteilbarkeit des Landes führte hier und da 
zu entsprechenden Landesgesetzen im mittelalterlichen Stil, d. h. zur Festlegung des Teilungs- 
verbots durch Vertrag zwischen Landesherr und Ständen (Beispiel: Münsinger Vertrag [Württem- 
berg] von 1482). Endlich ist die Unteilbarkeit auch reichs gesetzlich — durch die Goldene 
Bulle von 1356 — für die kurfürstlichen Länder sanktioniert worden, und vereinigten sich so 
Haus-, Landes= und Reichsrecht in der Verfolgung desselben Zieles, wobei der Grundsatz der 
Individualsukzession in Gestalt der agnatischen Linealfolge mit dem Vorzug 
der Erstgeburt (agnatische Linealprimogenitur) bald als bestes Mittel zum Zweck erkannt, 
seit dem späteren Mittelalter allmählich überall angenommen und von dem modernen Staat: der 
absoluten, sodann der konstitutionellen Monarchie übernommen wurde. Übernommen wurde — 
freilich nicht ohne eine vollständige Umwandlung der rechtlichen Natur des Thronfolgerechts, welche 
den Gegensatz zwischen Patrimonialherrschaft und modernem Staatsgedanken in seiner ganzen 
Tiefe offenbart. Das Land ist zum Staat, das Objekt der Landeshoheitsrechte zum Subjekt der 
1 Meyer-Anschütz §§ 85 ff.; Schulze, Deutsches Staatsr. 1 205 ff.; Derselbe, 
Preuß. Staatsr. 1 171 ff.; Derselbe, Das Recht der Erstgeburt (1851); Derselbe, Das 
deutsche Fürstenrecht, in der 5. Aufl. dieser Enzykl., S. 1349 ff.; E. Meier in v. Holtzen- 
dorffs Rechts-Lex., Art. „Thronfolge“; O. Held, Die geschichtl. Entwicklung des deutschen 
Thronfolgerechts, in der Ztschr. für deutsches Staatsr. 1 41 ff.; A. W. Heffter, Die Sonder- 
rechte der souveränen .. Häuser (1871); Brie, Art. „Landesherr" in v. Stengel-Fleisch- 
manns Wörterb. des deutschen Staats= und Verwaltungsrechts 2 715 ff.; Rehm, Modernes 
Fürstenrecht, 378 ff.; Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden 2 163 ff.; Anschütz, 
Der Fall Friesenhausen (1904), S. 85.
	        
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