Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 129 
Staatsgewalt, die Eigentumsherrschaft des Landesherrn ist zur Organschaft im Staate, ausgeübt 
durch das Staatsoberhaupt, geworden. Für den Übergang dieser höchsten Staatsorganschaft von 
einer Person auf die andere gin noch immer jene Folgeordnung, deren leitende Grundsätze bereits 
in den Haus-, Landes= und Reichsgesetzen des 14. und 15. Jahrhunderts erscheinen. Aber sie gilt 
nicht mehr als Erb folge. Wenn der alte König die Augen schließt, so ist dies hinsichtlich des Gegen- 
standes, um welchen es sich hier handelt, hinsichtlich der Staatsgewalt, kein Erbfall, denn 
der, dem dies Gut gehört, ist gar nicht gestorben: es ist nicht der König, sondern der Staat. Jene 
Folgeordnung gilt vielmehr heute als Sukzessionsordnung in einem rein staats-lnicht 
privat-)rechtlichen Sinne, als eine Norm, nach welcher sich die Berufung zu dem obersten Staats- 
amte vollzieht. Die Bezeichnung unserer Verfassungsform als „Erb monarchie“ ist durch die 
geschichtliche Rückerinnerung erllärt und gerechtfertigt; sie will nicht sagen, daß Staat und Staats- 
gewalt dem jedesmaligen Thronfolger im Rechtssinne hinterlassen und auf ihn vererbt werden, 
sondern daß der Übergang der höchsten Staatsorganschaft von einem Individuum auf das andere 
in Formen erfolgt, welche dem privatrechtlichen Vorgang des Erbens ähnlich sind. 
Das Wesen der Monarchie ist Organschaft im Staat. Wie alle Rechtssätze über diese 
Organschaft auf dem Willen des Staates beruhen, so auch diejenigen über ihren Erwerb; das 
Thronfolgerecht ist Staatsrecht. Damit ist nicht gesagt, daß es überall und immer formelles 
Verfassungsrecht sein oder auf modemen, konstitutionellen Gesetzen beruhen muß. Der kon- 
stitutionelle Staat hat die im alten Haus-, Landes= und Reichsrecht ausgebildete Sukzessions- 
ordnung nicht immer kodifiziert, d. h. in den Text der Verfassungsurkunde ausgenommen, sondern 
sie vielfach da stehen lassen, wo sie stand, insbesondere in den Urkunden des Hausrechts der regieren- 
den Familie. Tatsächlich bildet dieses Hausrecht noch heute in vielen deutschen Staaten die 
unmittelbare Quelle für manche wichtige Materien des Thronfolgerechts (z. B. die Ebenbürtig- 
keit). Insoweit dies der Fall ist, erhebt sich die Frage, welche Geltungskraft solchen alten Haus- 
gesetzen heute, nach Art und Maß, beizulegen ist: Hausgesetzeskraft oder Staatsgesetzes-(einfache 
oder Verfassungsgesetzes-)kraft? Genügt — dies ist der praktische Kem der Frage — zu der 
Abänderung oder Auphebung solcher hausrechtlichen Normen ein Akt der Hausgesetzgebung 
(Anordnung des Monarchen als Familienoberhaupt, mit Zustimmung der Agnaten, soweit 
die Hausverfassung diese Zustimmung fordert), oder ist hierzu ein Staatsgesetz, gegebenenfalls 
in den Formen der Verfassungsänderung, notwendig? — Die Frage wird sich nicht allgemein, 
sondern nur individuell, nach jedem Partikularrecht cinzeln beantworten lassen. Eine Bestimmung 
wie der Art. 53 der preuß. Vll.: 
„Die Krone ist, den Königlichen Hausgesetzen gemäß, erblich in dem Mannesstamme 
des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge“, 
ist dahin auszulegen, daß hierdurch das gesamte Hausrecht, das geschriebene wie das ungeschriebene, 
soweit es sich auf die Thronfolge bezieht, ohne materielle Anderung seines Inhalts in Ver- 
fassungsrecht hat umgewandelt werden wollen. Das Allegat der königlichen Hausgesetze 
bedeutet eine vollständige und restlose Verstaatlichung dieser Normen in dem angegebenen, 
sachlichen Umfange, derart, daß sie heute, soweit sie Materien des Thronfolgerechts regeln, 
lediglich integrierender Bestandteil der Verfassung, sonst nichts sind. Die Ordnung der Thron- 
folge ist demnach nicht etwa doppelt verankert, im Haus= und im Verfassungsrecht, sondern 
einfach: im Verfassungsrecht. Zu ihrer Abänderung ist ein verfassungsänderndes Staatsgesetz 
erforderlich und ausreichend. — Das gleiche gilt für das Staatsrecht der Mittelstaaten, ins- 
besondere für Bayern, Württemberg, Baden; ob und inwiefern in manchen Kleinstaaten der 
Hausautonomie die Rechtsmacht zusteht, das Thronfolgerecht, soweit und solange es durch 
Staatsgesetze nicht geregelt ist, abzuändern und fortzubilden, muß hier unerörtert bleiben. 
In keinem Falle aber kommt denjenigen, deren Rechte durch staatsgesetzliche Anderungen des 
Thronfolgerechts berührt werden, den Agnaten bzw. Kognaten des regierenden Hauses als 
solchen (als Inhabern subjektiver Sukzessionsrechte), ein Widerspruchsrecht gegen dergleichen 
gesetzgeberische Akte zu1. Die gegensätzliche, früher vielfach verbreitete (Zachariae, Zöpfl 
Vgl. Meyer-Anschütz S. 258, 259. Die Agnaten können das Recht, bei Anderungen 
des Thronfolgerechts mitzuwirken, nicht überall und ohne weiteres, sondern nur unter der zwei- 
fachen Voraussetzung beanspruchen, daß 1. in dem betreffenden Lande die Thronfolge Gegenstand 
der Hausgesetzgebung ist und 2. diese Hausgesetzgebung nur mit Zustimmung der Agnaten aus- 
geübt werden kann. 
Enzoklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 9
	        
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