Deutsches Staatsrecht. 133
der Verfassungsbestimmungen, welche (vgl. oben § 27) die Gültigkeit der monarchischen
Regierungsakte von der Gegenzeichnung eines Ministers abhängig machen: der Thronverzicht
bedarf zu seiner Gültigkeit keiner ministeriellen Gegenzeichnung (anderer Meinung v. Sar-
wey, württemb. Staatsr. 1 75; Göz, württemb. Staatsr. 67, die vorige Auflage dieser Dar-
stellung S. 574 sowie — mit selbständiger Begründung — Kormann a. a. O. 102 ff.). Der
Thronverzicht ist echter Verzicht: eine einseitige, rechtsaufhebende Willenserklärung des
Berechtigten, ein öffentlichrechtliches Seitenstück zu dem Verzicht des Privatrechts. Er stellt
im Hinblick auf seinen Inhalt eine Ausnahmeerscheinung dar, sofern sonst und im allgemeinen
öffentliche Organschaften nicht durch individuelle Erklärungen des Organträgers, sondern nur
durch einen Entlassungsakt des zuständigen Staatsorgans aufhören 1.
Der Thronverzicht verträgt im allgemeinen keine Nebenbestimmungen. Insbesondere
können ihm keine Vorbehalte oder auflösende Bedingungen beigefügt werden. Zulässig sind
aufschiebende Bedingungen und Befristungen, denn diese schaffen keinen Schwebezustand, sie
sind nichts anderes als Bestimmungen über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verzichts-
erklärung. Die unzulässigerweise beigefügte Nebenbestimmung ist nichtig; es fragt sich, ob sie
zugleich die ganze Erklärung nichtig macht. Man wird nach Analogie des § 139 BB. ent-
scheiden dürfen: der nichtige Teil eines Rechtsgeschäfts macht das ganze Geschäft nichtig, wenn
nicht anzunehmen ist, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Es muß
also der einzelne Fall daraufhin untersucht werden, ob die fragliche Nebenbestimmung als
conditio sine qua non gemeint ist: bejahendenfalls ist der Thronverzicht nichtig, im Ver-
neinungsfalle gilt die Nebenbestimmung als nicht geschrieben.
Eine bestimmte Form ist für den Thronverzicht nicht vorgeschrieben. Er kann daher so-
wohl schriftlich wie mündlich erklärt, auch stillschweigend betätigt werden (so kann unter Um-
ständen die Verweigerung des Verfassungseides als Abdankung aufzufassen sein, ebenso die
Weigerung des Königs von Preußen, die ihm angefallene Krone eines „fremden Reiches“
lpreuß. Verf. Urk. Art. 55)] niederzulegen).
« Der verzichtende Monarch verliert durch den Verzicht seine „Krone“, d. h. seine Stellung
als Monarch und tritt in die Reihe der Agnaten der Dynastie zurück. Er behält herkömmlicher-
weise seinen Titel, nicht aber die sonstigen monarchischen Ehrenrechte. Verlust des Thron-
folgerechtes (der Sukzessionsfähigkeit) tritt nicht ein. Auch der Thror an wartschafts-
verzicht vernichtet nicht die Sukzessionsfähigkeit des Verzichtenden, sondern nur die ihm bis
dahin zustehende Anwartschaft: der Verzichtende gibt seinen Platz in der Prätendentenreihe
auf und steht nunmehr am Ende derselben. In allen Fällen kann der Verzicht nur das Recht
des Verzichtenden, nicht die Sukzessionsansprüche seiner Abkömmlinge (seiner „Linie“, vl.
oben S. 131) wegschaffen: die zur Zeit des Verzichts lebenden Söhne des auf seine Thronanwart-
schaft verzichtenden Prinzen behalten ihren Platz in der Reihenfolge: die später Geborenen
erhalten den Platz, der sich aus der damaligen Position ihres Vaters (am Ende der Reihe, . oben)
ergibt.
Wie der Thronverzicht im engeren Sinne, so ist auch der Thronanwartschaftsverzicht sofort
(also nicht erst bei erfolgtem Anfall der Krone) wirksam und für den Verzichtenden unwider-
ruflich 2: der Verzichtende verliert seinen Platz an den nach der Sukzessionsordnung Nächsten. —
Aüußer durch Tod und Thronverzicht konnte nach mittelalterlichem Reichsrecht die Mon-
archenstellung noch durch Absetzung vemichtet werden. Diesen Thronerledigungsgrund
erkennt das moderne Staatsrecht im allgemeinen nicht an. Doch läßt sich gegen die Zulässig-
keit eines Gesetzes, welches während einer Regentschaft (s. den nächsten Paragraphen) von dem
Regenten unter Zustimmung des Landtags — nötigenfalls in den Formen der Verfassungs-
änderung — erlassen, die Eutthronung des regentschaftlich vertretenen Monarchen verfügt und
den Regenten zum Monarchen erklärt, nichts einwenden, wofern nach dem betreffenden Landes-
recht Verfassungsänderungen zur Zeit einer Regentschaft nicht verboten sind (lebenso Rehm
a. a. O. 428).
Der Versuch Kormanns a. a. O., den Thronuverzicht als „Pelbstentlassunf, des
Monarchen zu konstruieren, ist allzu gekünstelt und steht nicht im Einklang mit der Rechtswirklichkeit.
* Anderer Meinung die Vorauflage (S. 574), ferner v. Seydel, Bayer. Staatsr. 1 201;
Rehm a. a. O. 408.