10 G. Anschütz.
Wenn Bornhakta. a. O. sagt: „Derjenige, der die staatliche Gewalt aus eigenem
Rechte innehat [gemeint ist: ausübt], ist selbst der Staat“, so ist dieser Gedanke ja nicht neu.
Er kommt genau auf das heraus, was Ludwig XIV., prägnant genug, in die Worte kleidete:
L Etat c'est moi. Uns will diese Staatskonstruktion nicht mehr recht einleuchten. Es liegt darin
eine Überhebung des Repräsentanten über den Repräsentierten, des Organs über den Gesamt-
körper, welche uns nicht nur — was schließlich noch nicht allein ausschlaggebend wäre — wider
den Strich unserer modernen politischen Anschauungen als vor allem wider die Logik der
juristischen Grundbegriffe geht. Der Staat ist nicht identisch mit dem „Herrscher“ (d. h. der
Person oder Personenmehrheit, welche den Staat an oberster Stelle organschaftlich repräsentiert),
sondern er faßt beides, Herrscher wie Beherrschte, König und Volk, Amtsträger und unbeamtete
Untertanen zu einer Einheit zusammen. Namens dieser Einheit handeln alle Staatsorgane,
handelt auch der Organe oberstes, der „Herrscher“. Erst kommt der Staat, dann der Herrscher;
der Staatsbegriff ist das logische prius; es ist also deutlich, daß die Kategorien „Staat“ und
„Herrscher“ nicht identisch sind, und daß man den Herrscherbegriff nur auf dem vorher ge-
wonnenen Staatsbegriff aufbauen, nicht aber umgekehrt den Herrscher zur begrifflichen Grund-
lage des Staates nehmen kann. Die Staatslehre des 20. Jahrhunderts wird sich nicht von
der des 18. beschämen lassen, wird nicht zurückgehen wollen hinter die Staatsauffassung des
aufgeklärten Absolutismus, dessen größter Vertreter durch sein oft wiederholtes, vielfach variiertes
Wort vom König als erstem Diener des Staates 1 aufs klarste bewies, wie weit er davon
entfernt war, den Herrscher für den Staat selbst auszugeben, wie er vielmehr dem Herrscher,
dessen Tätigkeit er als Staatsdienst begriff, durchaus die richtige systematische Stellung anweist:
Organschaft im Staat.
4. Nichts anderes als eine Spielart oder, wenn man will, Verhüllung der Herrscher-
theorie ist auch die vorhin erwähnte Lehre, welche den Staat begreifen will als das Rechts-
verhältnis zwischen Herrscher und Beherrschten (frühere Vertreter s.
bei Jellinek, Staatsl. 1 160 ff., jetzt insbesondere Loening in dem oben angeführten
Artikel „Staat“); denn auch diese Theorie kommt, zu Ende gedacht, auf die oben zurückgewiesene
Identifizierung von Staat und Herrscher hinaus. „Rechtsverhältnisse“, „rechtliche Beziehungen“
können nicht wollen noch handeln. Wie ist es also vom Standpunkt der Verhältnistheorie
aus zu verstehen, wenn gleichwohl jemand, den das positive Recht „Staat“" nennt, wollend und
handelnd im Rechtsleben auftritt, z. B. Stiftungen genehmigt, von Ehehindernissen dispensiert,
uneheliche Kinder legitimiert: BGB. §§ 80, 1322, 1723 —? Wer ist dieser „Staat“, den das
BGB. hier als selbständigen Willensträger, als kompetentes Subjekt für gewisse Rechtsakte
einführt? Ein Rechtsverhältnis kann, wie gesagt, nicht handeln; das kann nur ein Rechts-
subjekt, eine Person. Die hier vorgestellte Theorie sieht sich daher genötigt, je nach Bedarf
dem, worin sie den „Staat“ erblickt, nämlich dem Inbegriff der Rechtsbeziehungen zwischen
Herrscher und Beherrschten, den Herrscher, d. h. die herrschende Person zu substituieren. „Hinter
den Personen, welche Inhaber der herrschenden Gewalt sind, steht aber keine andere Person,
als deren Organe oder Stellvertreter sie fremde Rechte und Pflichten auszuüben hätten“
(Loening a. a. O. S. 710). So wird die Verhältnistheorie im Ergebnis der Herrscher-
theorie zugedrängt. Gerade diese Theorie aber gilt es zu überwinden.
5. Uberwunden wird sie nur durch die Einsicht, daß „hinter den Personen, welche In-
haber der herrschenden Gewalt sind“, allerdings, des Widerspruchs der Herrscher- und Ver-
hältnistheorie ungeachtet, doch eine „andere Person“ steht, welche verschieden ist von den
herrschenden wie von den beherrschten Einzelpersonen.
Der Staat stellt das Volk einschließlich des oder der herrschenden Menschen in der recht-
lichen Einheit eines mit Persönlichkeit begabten Gemeinwesens dar, der „Herrscher“ aber ist das
oberste Organ, der Vorstand dieses Gemeinwesens. Die Begriffe Herrscher und Staat ver-
halten sich wie der Repräsentant zum Repräsentierten. Der Herrscher — in Monarchien der
Monarch — ist nicht der Staat; auch besitzt er ihn nicht, sondem er vertritt ihn.
1 Siehe die Werke Friedrichs des Großen an den von Rehm, Staatsl., S. 231, an-
geführten Stellen. Dazu die Kodifikation des fridericianischen Staatsgedankens im Allg. LR.
2 13, §& 1 (s. oben S. 9 Anm. 1).