Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

138 G. Anschütz. 
II. Der Lanudtag. 
§ 32. Wesen und Rechtsstellung des Landtags 1. 
Mit dem Worte Landtag wird hier wissenschaftlich-zusammenfassend bezeichnet die 
parlamentarische Institution im Verfassungsbau des deutschen monarchisch-konstitutionellen 
Einzelstaates: die Volksvertretung nach Landesstaatsrecht, nach deren Bilde die des Reichs- 
staatsrechts, der Reichstag — oben § 22 — geformt ist. Der Ausdruck „Landtag“ ist von dem 
gesetzgeberischen und sonstigen amtlichen Sprachgebrauch nicht überall angenommen, es finden 
sich für die damit bezeichnete Einrichtung auch noch die Bezeichnungen „Landesvertretung“, 
„die Kammem“ (Ausdruck der preuß. Vll. und der preuß. Staatspraxis bis 1855 2), „Stände- 
versammlung“, „Landstände“ oder kurzweg „Stände“ (Mittel-- und Kleinstaaten, nicht in Preußen). 
„Landtag" und „Stände“ erscheinen hier als alte Namen für eine neue Sache. Dagegen ist 
nichts einzuwenden, wofern man den staatsrechtlichen Bedeutungswandel im Auge behält. 
In der Tat haben die deutschen Landtage von heute (Mecklenburg ausgenommen) mit den 
landständischen Einrichtungen alten Stils staatsrechtlich wie politisch gar nichts gemeinsam, 
auch sind sie nicht aus den letzteren im Wege umbildender Entwicklung hervorgegangen, sie sind 
vielmehr Neubildungen, in denen sich der von dem altständischen Wesen grundverschiedene 
konstitutionelle Staatsgedanke vornehmlich verkörpert (über die Entwicklung und das 
Wesen des Konstitutionalismus ist oben § 7 das Nötige gesagt worden). Die alten Landstände 
gehören weder in die Geschichte noch in die Vorgeschichte der deutschen konstitutionellen Volks- 
vertretung. Sie waren Schutz= und Trutzverbände, gebildet von den privilegierten Klassen 
des Landes zur Verteidigung ihrer Rechte gegen Ubergriffe der Landeshoheit, das Gegenstück 
der letzteren und zugleich ihr Ebenbild: Gewalten ohne Pflichten gegenüber einem Gemein- 
wesen, dem sie dienten: ohne organschaftliche Struktur (vgl. oben S. 123). Anders heute. 
Dem Begriff der konstitutionellen Volksvertretung entsprechend stellt der Landtag ein unmittel- 
bares, kollegialisches Staatsorgan dar, welches vorwiegend oder ganz aus Wahlen des Volkes 
hervorgeht und die Beteiligung des letzteren bei der Bildung des Staatswillens vermitteln soll. 
1. Die Rechtsstellung des Landtags ist zunächst eine Stellung im Staate, nicht 
außer oder neben diesem. Die Folgerungen aus dem Gedanken der Staatseinheit, welche auch 
die Krone gegen sich und ihr etwa angedichtete Prätensionen „eigenen Rechts“ gelten lassen 
muß (oben S. 123, 124), sind hier analog zu ziehen. Auch die Volksvertretung hat ihren Status 
nur im Staate, sie steht ihm nicht „gegenüber“, sondern ist ein Stück von ihm. Die Zweiheit 
der obersten Organe in der modernen konstitutionellen Monarchie hat nichts zu schaffen mit 
jenem Dualismus von Landesherr und Landständen nach der alten Verfassung, einem durch 
keine höhere Einheit versöhnten Nebeneinander zweier eigenberechtigter Subjekte. Monarch 
und Landtag von heute sind nicht zwei Parteien mit jeweils eigenen Rechten, sondern zwei 
Organe im Dienste eines und desselben Gemeinwesens, des Staates. 
2. Das Wesen des Landtags ist Organschaft im Staat. Der Landtag ist eine Ver- 
sammlung, welche innerhalb ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit berufen ist, den Staats- 
willen zu wirken oder bei seiner Bildung mitzuwirken. Auch hier findet das oben (S. 122 ff.) 
über die rechtliche Stellung der Krone gesagte Analoge Anwendung. So wenig wie der re- 
gierende Monarch übt der beschließende Landtag eigenes Recht, sondem beide üben fremde 
Rechte aus, Rechte, deren Subjekt der Staat ist. War in anderem Zusammenhange (oben a. a. O.) 
festzustellen, daß die „Regierungsrechte“ nicht dem Monarchen „eigen“ sind, so ist dem hier 
hinzuzufügen, daß ebensowenig die sog. „politischen Rechte“ (z. B. das Steuerbewilligungsrecht) 
und „HKollegialrechte“ (die parlamentarische Autonomie) subjektive Rechte des 
Land ta 98 darstellen — eine Konstraktion, welche sich schon deshalb verbietet, weil die 
1 Meperu ihns *96; Schulze, Deutsches Staatsr. # 169 ff.; v. Gerber, 
Grundzüge §5 39; v. Seydel, Bayer. Staatsr. § 86 (1 348 ff.); Jel l i n ek, System der subj. 
öffentl. Rechte, S. 236 ff. und Allg. Staatslehre S. 530 ff., 552 ff., 
: Seit der Verordnung vom 12. November 1855 (GS. 6900 ist der nine Ausdruck in Ge- 
setzen und königlichen Anordnungen: „beide Häuser des Landtags Unserer Monarchie.“ 
: Vgl. unten 8 34
	        
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