Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 139 
Landtage (auch hierin wieder spezifisch verschieden von den alten Landständen) Kollegien, 
aber keine Korporationen, weil sie keine Rechtssubjekte sind und sonach schlechthin der 
Fähigkeit entbehren, eigene Rechte, sei es private, sei es öffentliche, zu haben. Die von dem 
Landtage ausgeübten Rechte gehören also nicht ihm, sondern dem Staat. Nicht etwa einer 
vom Staate verschiedenen Persönlichkeit „Volk“. Die Bezeichnung „Volksvertretung“ darf 
nicht zu falschen Vorstellungen über das Wesen der Sache verleiten. In der Tat handelt es 
sich hier weder um eine Vertretung des Volkes im Rechtssinne überhaupt, noch insbesondere 
um eine Vertretung gegenüber dem Staate 1. Die eine Annahme wäre so verfehlt wie die 
andere. Das Wort Volksvertretung verbildlicht nicht ein Rechtsverhältnis, auf dessen einer 
Seite das Volk, anderseits der Landtag figuriert. Es besteht kein Rechtsband irgendwelcher 
Art, also auch kein Stellvertretungs-, Repräsentations-, Mandats- oder sonstiges Rechtsver- 
hältnis und zwar so wenig zwischen dem einzelnen Landtagsmitglied und seinen Wählern (dies 
ist posi tivrechtlich anerkannt, vgl. z. B. preuß. Vll. Art. 83, dem Art. 29 RV., oben 
S. 109, entspricht) wie zwischen dem Landtag als solchem und der Volksgesamtheit. Letzteres 
wäre eine staatsrechtlich unvollziehbare Vorstellung. Denn Rechtsverhältnisse sind nur zwischen 
Personen denkbar; Stellvertretung und Repräsentation zeigen die Darstellung des Willens 
einer Person durch eine andere Person. Hier aber fehlt es, abgesehen von der „anderen", vor 
allem an der „einen“ Person: das Volk abgezopen vom Staat ist, wie oben & 1, S. 5 hervor- 
gehoben, keine Person, kein rechtsfähiges, also auch kein repräsentables Wesen. Damit erledigt 
sich zugleich die Meinung, als werde in Gestalt des Landtags das Volkgegenüber dem 
Staate repräsentiert, ein Gedanke, gegen den übrigens auch 2 och aus anderen Gründen 
Widerspruch erhoben werden müßte. Stellt man nämlich das Volk dem Staate „gegenüber“, 
so stellt man es außerhalb des Staates, — eine offenbar verkehrte, auf das Wesen gerade des 
modemnen konstitutionellen Staates am wenigsten zutreffende Anschauung über das Verhältnis 
zwischen Staat und Volk (vgl. hierher oben § 1 S. 5), welche Staat und Volk einander ent- 
fremdet, den Staat aus dem Volke, das Volk aus dem Staate hinausverlegt und der dem Volke 
immanenten Staatspersönlichkeit das Gepräge einer ihm trarszendenten Anstalt gibt. — Nach 
alledem kann der Ausdruck „Volksvertretung“ nur auf die Bildung, die Formation dieses 
Organs bezogen werden: der Landtag ist eine „Volksvertretung“", weil und soweit er aus Waqlen 
der politisch berechtigten Volksgenossen, des Staatsbürgertums, hervorgeht. Was der Ausdruck 
sonst noch an Sinn enthält, nämlich die Vertretung des rechtlich geeinten Volkes, des Volkes 
als Staat, ist alles schon mit der Qualifizierung als Staatsorgan gesagt, und erscheint 
in diesem Sinne jede Staatsorganschaft, insbesondere auch die höchste, die dem Monarchen 
zustehende, als „Volksvertretung“. 
3. Die organschaftliche Stellung des Landtags gleicht derjenigen der Krone durch ihre 
Unmittelbarkeit (s. oben S. 124); wie die Kompetenz des Monarchen so gründet sich die 
des Landtags ohne Dazwischenkunft eines weiteren, dem Landtag übergeordneten Organträgers 
unmittelbar auf die Verfassung. Der Monarch ist in diesem Sinne dem Landtag nicht über- 
geordnet; letzterer funktioniert weder im Namen noch nach den Befehlen des ersteren. Daß 
der Landtag ohne und wider Willen der Krone seine Tätigkeit nicht beginnen noch beendigen 
darf (s. unten § 35), ist kein Gegenargument, denn diese Tatsache trifft auch für den Reichstag 
im Verhältnis zum Kaiser zu (oben S. 104); niemand aber wird behaupten wollen, daß der 
Reichstag dem Kaiser dienstlich untergeordnet sei oder gar seine Kompetenz aus der Gewalt 
des Kaisers ableite. — In bezug auf seine Staatsunmittelbarkeit der Krone gleichend ist die 
Stellung des Landtags anderseits von jener tiefgreifend verschieden, wenn man den Blick auf 
den Umfang und die Art der Kompetenz richtet. Hierüber ist — unter Vorbehalt näherer Nach- 
weisungen (unten § 34) — vor allem zu bemerken, daß nur die Krone, nicht der Landtag 
Träger der Staatsgewalt ist (oben § 26), und daß der Landtag die trägerschaftliche Organ- 
stellung des Monarchen auch nicht teilt. Der Landtag ist weder Träger noch Mitträger 
der Staatsgewalt. Bei Streitfragen über die Kompetenz der unmittelbaren Organe im deutschen 
Einzelstaat spricht die Vermutung nicht für die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens von 
  
1 Abweichend die ältere, insbesondere von Mo hl vertretene Auffassung, vgl. Mohls 
württemb. Staatsr. 1 531 ff.: „Verteidigung der Volksrechte durch die Ständeversammlung.“
	        
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