Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

144 G. Anschütz. 
zum Zweck. Die Handhabung der kollegialen Kompetenzen soll die Voraussetzungen und Mittel 
schaffen, welche zur Entfaltung der politischen erforderlich sind; durch jene gibt das Parlament 
sich die Ordnung und setzt es sich in den Stand, um seine politische Kompetenz, d. h. den ihm zu- 
geschiedenen Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt, wahrzunehmen, den ihm aufgetragenen 
organschaftlichen Beruf zu erfüllen. 
Zu den kollegialen Kompetenzen gehört: 1. das Recht zur Regelung der Geschäfts- 
ordnung, einschließlich der Dis ziplin des Landtags (sog. „parlamentarische Autonomie" 
i. e. S., ein irreführender Ausdruck, da Autonomie, Selbstgesetzgebung nur üben kann, wer 
ein rechtliches Selbst besitzt, was bei dem Landtag, der keine Korporation, sondern nur ein 
Kollegium darstellt, nicht der Fall ist). Diese Kompetenz ist beim Zweikammersystem jeder Kammer 
für sich übertragen, wobei deren „Autonomie“ in manchen Stataen, insbesondere in Preußen 
(Vu. Art. 78), weitestgehende Freiheit genießt, anderwärts hingegen (Bayem, Sachsen, Hessen) 
durch gesetzliche Fixierung aller wesentlichen Punkte in enge Schranken gewiesen ist. Weiter 
gehört hierher 2. die Wahl des „Bureaus“: der Präsidenten, Vizepräsidenten, 
Schriftführer utw., in Preußen für alle diese Amter jedem der beiden Häuser völlig frei- 
gegeben, in den süddeutschen Staaten mit dem Vorbehalt, daß der Präsident der Ersten Kammer 
nicht gewählt, sondern von der Krone ernannt wird. Endlich 3. die Funktion des Legitima- 
tionsprüfung. Jede Kammer hat (von Amts wegen, nicht erst auf Antrag oder Beschwerde 
Dritter) die Legitimation ihrer Mitglieder, insbesondere die Ordnungsmäßigkeit der Wahlen, 
zu untersuchen und über die Gültigkeit derselben zu entscheiden. 
Die politischen Kompetenzen des Landtags sind nicht nur gesetzgeberische, 
sondern erstrecken sich auch auf das administrative Gebiet, nämlich vor allem auf die Ordnung 
des Staatshaushalts. Der Wirkungskreis des Landtags umfaßt hiernach insbesondere die Mit- 
wirkung bei der Gesetzgebung (s. unten § 40) und bei der Finanzverwaltung (in partikular- 
rechtlich verschiedenem, überall aber das Recht der Zustimmung zu dem Etat [Budget!, zur Auf- 
nahme von Anleihen, Übernahme von Staatsgarantien, Veräußerung von gewissen Bestand- 
teilen des Staatsvermögens sowie zur Kontrolle der Finanzverwaltung gewährendem Umfange: 
s. unten §J 47). Zu den legislativen Funktionen gehört die Genehmigung solcher Staats- 
verträge, deren Vollzug in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt eingreift (s. unten § 45). 
Fernere, in früherem Zusammenhang erwähnte politische Kompetenzen des Landtags beziehen 
sich auf Veränderungen der Staatsgrenzen, Einleitung und Beendigung der Regentschaft, Ent- 
gegennahme des Verfassungseides seitens des Monarchen und Regenten, Erhebung der Minister- 
anklage. Ein „allgemeines Recht des Landtages auf Uberwachung und Kontrolle der gesammten 
Staatsverwaltung“ (Schulze, D. Staatsr. 1 479) kann nicht anerkamnt werden, soferm damit 
ein Recht auf Mitteilung aller Regierungsakten, ein allgemeiner Anspruch auf Kenntnisnahme 
in Bezug auf die gesamte Staatsverwaltungstätigkeit behauptet werden will. Ein solcher An- 
spruch besteht nur, soweit Spezialgesetze ihn für einzelne Zweige und Funktionen der Regierungs- 
tätigkeit gewähren (wichtigster Fall: die Finanzkontrolle; s. unten § 47), darüber hinaus nicht; 
es ist kein allgemeiner Verfassungsgrundsatz, daß die Regierung dem Landtag jederzeit auf Ver- 
langen ihre Akten offen legen muß. Jedoch statuieren die Verfassungen zwei besondere Kom- 
petenzen, welche den Gedanken einer überwachenden, kontrollierenden, kritisierenden Tätigkeit 
des Landtags, jede in ihrer Weise, zum Ausdruck bringen: das Recht der Vorstellung und 
Beschwerde (Petitionsrecht) und das Informationsrecht. Das erstere 
ist in allen Verfassungen ausdrücklich anerkannt (vgl. z. B. preuß. Vl. Art. 81); es besteht in der 
Befugnis, Bitten und Anträge an die Staatsregierung — an die Minister oder unmittelbar an die 
Krone — zu stellen. Gegenständlich ist das Petitionsrecht nicht beschränkt, insbesondere nicht 
auf die Gebiete der Staatstätigkeit, wo dem Landtage ein Recht beschließender Mitwirkung 
eingeräumt ist: Inhalt einer Petition im wahren Sinne kann alles sein, was die Kammern an- 
gemessen finden, der Staatsregierung zu sagen und vorzustellen; es kann ein Verwaltungsakt 
oder eine ganze Verwaltungspraxis wegen Rechts= oder Zweckwidrigkeit gerügt, weiterhin aber 
auch an dem bestehenden Rachtszustand als solchem Kritik geübt und um Einbringung einer 
bessernden Gesetzesvorlage ersucht wreden. Das Petitionsrecht kann der Landtag sowohl von 
sich aus, von Amts wegen ausüben, indem er „Adressen" an die Krone, Resolutionen“ 
an die Minister richtet, wie auch in Verfolg von Anträgen und Beschwerden Dritter. Solche
	        
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