Deutsches Staatsrecht. 145
Beschwerden, „Petitionen“ im engeren Sinne genannt, können überall an den Landtag
und jede Kammer einzeln gerichtet werden, dürfen aber nur schriftlich übersandt, nicht persönlich
oder durch Deputationen überreicht werden. — Im Hinblick auf erhobene oder zu erhebende
Beschwerden kann der Landtag (jede Kammer für sich) von dem Informationsrecht
Gebrauch machen. Diese Kompetenz (die Bezeichnung ist nicht offiziell) umfaßt zweierlei: ein-
mal die überall, ausdrücklich oder stillschweigend, anerkannte Befugnis, Anfragen, „Inter-
pellationen“ an die Minister zu richter, und sodann das, wesentlich nur durch die preu-
ßische Vl., in geringerem Grade von dem bayerischen Recht ausgebildete Recht der parla-
mentarischen Untersuchungen (Enqueten) 1. Die Zulässigkeit der Interpellationen folgt, woferm
sie nicht ausdrücklich gewährleistet ist (vgl. preuß. VU. Art. 60 Abs. 2; „Anwesenheit“ bedeutet
hier nicht stummes Dabeisitzen, sondern Beteiligung an den Verhandlungen, fermer Art. 81 Abs. 3).
aus dem Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit. Die Rechtswirkung der Interpellation ist
die Verpflichtung des angeredeten Ministers, Auskunft zu geben oder zu begründen, warum eine
solche nicht gegeben werden könne, z. B. darzutun, daß das Staatsinteresse Geheimhaltung der
Sache fordere. Das sog. Enqueterecht des preußischen Landtages (Vl. Art. 82) besteht in der
Befugnis jeder Kammer, „behufs ihrer Information Kommissionen zur Unterfu-
chungvon Tatsachen zu ernennen“. Die rechtliche Stellung dieser Untersuchungskommis-
sionen ist die: sie dürfen (Ausnahme von der Regel, daß der Landtag nur mit den Ministern,
nicht mit den unteren Behörden und noch weniger mit den Untertanen in direktem Verkehr steht)
die Staatsbehörden um Ausführung von Aufträgen oder Auskunft ersuchen (requirieren), femer
Privatpersonen als Zeugen und Sachverständige vernehmen. Aber niemand, weder Behörde
noch Privatperson, ist verpflichtet, der Requisition bzw. Vorladung Folge zu leisten: die parla-
mentarischen Untersuchungskommissionen sind k#ine Behörden; ihnen mangelt die obrig-
keitliche Gewalt. Auch können sie die Staatskasse nicht ohne oder wider Willen der Regierung
mit Ausgaben belasten. —
Die Hauptmasse der politischen Kompetenzen des Landtages besteht in einer Mitwir-
kung bei Akten und Willenserklärungen der Regierung (d. h. des Monarchen). Der Staatswille
wird in diesen Fällen überall nicht durch Alleintätigkeit, durch einseitige Beschlüsse des Land-
tages, sonderm so gebildet, daß dem Willen des Monarchen der Konsens des Landtages hinzutritt.
Ausnahmen von dieser Regel sind: das Petitions- und Informationsrecht, Landtagsbeschlüsse
über Einleitung und Beendigung der Regentschaft, über Erteilung oder Verweigerung der Ent-
lastung bei der Vorlage der Staatsrechnung, über Erhebung der Ministeranklage.
Für die Gesamtzuständigkeit des Landtags gelten folgende allgemeinen
Grundsätze. Einmal die — in anderm Zusammenhange bereits wiederholt hervorgehobene —
Regel, daß der Landtag nur diejenigen Kompetenzen besitzt und beanspruchen kann, welche ihm
durech Verfassung und Gesetz ausdrücklich zugewiesen sind, während im allgemeinen die Aus-
Übung der Staatsgewalt der Krone allein zusteht. Dieser (in manchen Verfassungen, z. B. Bayern
Tit. VII § 1, Baden § 50, zum Uberfluß ausdrücklich ausgesprochene) Satz folgt aus der Rechts-
stellung der Krone nach deutschem Landesstaatsrecht — s. oben §7 S. 42 ff. und § 26 S. 124 —
und aus dem übereinstimmenden Charakter unserer konstitionellen Verfassungen als bestimmt
limitierte Selbstbeschränkungen der absoluten Monarchie (s. oben 5 7 S. 42 ff.). Zweitens ist
für den gesamten Wirkungskreis des Landtags sestzuhalten: dieser Wirkungskreis erlaubt dem
Landtag nur, zubeschließen, nicht aber, das Beschlossene selbst zur Ausführung zu bringen,
zu handeln. Der Landtag vertritt den Staat nur in der Sphäre der Willensbildung und
Willenserklärung, nicht in der Sphäre der Willensverwirklichung, der Tat. Die vollziehende
Gewalt im eigenen Sinne, die Exekutive, ist überall ausschließlich Sache der Regierung.
§ 35. Legislatur= und Sitzungsperioden. Rechtsverhältnisse der einzelnen
Landtagsmitglieder 2.
Die hierhergehörigen Sätze und Einrichtungen des Landesstaatsrechts stimmen mit den
analogen des Reichsrechts weitgehend überein. In Ergänzung des letzteren — s. oben § 22,
!1 Zweig, Die parlamentarische Enquete, Ztschr. f. Politik 6 265 ff.
* Vgal. die zu &§ 32 angeführte Literatur.
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 10