156 G. Anschütz.
§ 40. Der Weg der Gesetzgebung 1.
I. Nach Landesstaatsrecht. Der „Weg der Gesetzgebung“, d. h. das Verfahren, welches
beim Zustandebringen eines Landesgesetzes im formellen Sinne zu beobachten ist, zeigt ein ver-
fassungsmäßig geordnetes Zusammenwirken von Krone und Landtag. Praktisch-politisch betrachtet
ist der Einfluß dieser beiden „gesetzgebenden Faktoren“ auf das Ergebnis des Verfahrens gleich
groß, und es ist unter diesem Gesichtspunkte eine zutreffende Ausdruckweise, wenn Art. 62 der preu-
ßischen Vl. sagt, daß die gesetzgebende Gewalt durch König und Kammer „gemeinschaftlich aus-
geübt“ werde. Formel aber, rechtlich, überragt der Monarch die Volksvertretung, erscheint
er als Herr des Gesetzgebungsgeschäfts. Das Gesetz tritt auf als einseitiger Wille, als „Verordnung“
des Monarchen (gemeingültige Verkündigungsformel: „Wir. verordnen was folgt", s. u.
Nr. 4), eine Verordnung freilich, deren Inhalt durch Vereinbarung mit der Volksvertretung bindend
festgestellt ist. Die Zustimmung des Landtags ist nach den übereinstimmenden Grundsätzen des
deutschen Landesstaatsrechts notwendige Bedingung für den Erlaß des Gesetzes durch den
Monarchen; der Wille der Legislative ist, „der Wille des Monarchen, welcher den Konsens der
Volksvertretung in sich aufgenommen hat.“ —
Der Weg der Gesetzgebung gliedert sich der Reihe nach in folgende Abschnitte und einzelne
Akte: Initiative, Feststellung des Gesetzesinhalts, Sanktion, Publikation.
1. Der das Verfahren eröffnende Akt der Initiative oder des Gesetzesvor-
schlags durfte nach den älteren deutschen Verfassungen ursprünglich nur von der Krone, nicht
auch von der Volksvertretung ausgehen; das Petitionsrecht (s. oben S. 144) der letzteren in bezug
auf Wünsche de lege ferendea ist hier erst durch spätere Verfassungsgesetze in ein formelles Initiativ-
recht verwandelt worden: so in Bayern 1848, Sachsen 1849, Baden 1869, Württemberg (mit
Einschränkungen) 1874, — während Preußen (Vll., Art. 64) von Anfang an das „Recht, Gesetze
vorzuschlagen“ dem Könige sowie jeder der beiden Kammern ebenmäßig zugesprochen hat. In
den Staaten mit Zweikammersystem kann die Regierung ihre Gesetzesvorlagen nach Belieben in
der Ersten oder Zweiten Kammer oder in beiden zugleich einbringen, nur die Finanzvorlagen ein-
schließlich des Budgets (Staatshaushaltsetats) müssen in den meisten Staaten zuerst bei der zwei-
ten Kammer eingebracht werden (s. oben S. 144, 145), und ist insoweit das Initiativrecht der
ersten Kammer sinngemäß ausgeschlossen. Nach manchen Verfassungen (so insbes. der preuß. Vll.,
Art. 64 Abs. 2) dürfen Gesetzvorschläge, welche durch einen Gesetzgebungsfaktor verworfen worden
sind, während der parlamentarischen Sitzungsperiode, in welcher die Verwerfung erfolgte, nicht
wiederholt werden.
2. Die Feststellung des Gesetzesinhalts erfolgt durch Vereinbarung
zwischen Regierung und Landtag, derart, daß die Rechte der zwei bezw. (beim Zweikammer-
system) drei Faktoren grundsätzlich gleich sind und kein Faktor einen Anspruch darauf hat, daß die
anderen sich seiner Meinung fügen. Insbesondere steht jeder Kammer das Umendierungs-I
recht zu, d. h. das Recht, die Zustimmung zu der Vorlage von der Annahme der „Amendements“
(Abänderungsvorschläge) durch die anderen Faktoren abhängig zu machen. Nur bezüglich der
Finanz- und insbesondere Etatsgesetze pflegt der Ersten Kammer das Recht der Amendierung
(ganz oder teilweise) versagt und nur das Recht der Annahme oder Ablehnung im ganzen gewährt
zu sein (s. oben S. 140). Das Verfahren bei Beratung und Beschlußfassung über die Gesetzes-
vorlagen in den Kammern richtet sich nach den Vorschriften der Verfassung und der Geschäfts-
ordnung (s. oben S. 109, 144). Die Beschlußfähigkeit der Kammern ist durch die Anwesenheit der
verfassungsmäßigen Mindestzahl von Mitgliedern bedingt; die Anwesenden beschließen nach ein-
facher Stimmenmehrheit. Erschwerende Erfordernisse nach beiden vorbezeichneten Richtungen
— Präsenzziffer und Majorität — sind in mehreren Staaten aufgestellt, soweit es sich um Ver-
1 Laband 2 355; G. Meyer-Anschüp, Staatsr. § 158, 163; G. Meyer, Anteil der Reichs-
organe an der Reichsgesetzgebung; Jellinek, Ges. u. Verordn. S. 312 ff.; Schulze, preuß.
Staatsr. 2 11 ff.; Fleischmann, Der Weg der Gesetzgebung in Preußen (1898); v. Seydel,
Bayer. Staatsr. 2 322 ff.; J. Lukas, üÜber die Gesetzespublikation (1903); Derselbe,
Fehler im Gesetzgebungsverfahren (1907); Frormann im Arch. f. öff. R. 14 31 ff.; Pabst,
Die Sanktions= und Publikationsfrist für Gesetze (1909); Scheibke, Die Frist für Sanktion
und Publikation der Gesetze (1909).