Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 157 
fassungsänderungen handelt; so verlangen die Verfassungen Bayerns (Tit. X 8 7), 
Sachsens (§ 152), Badens (§64, 73) Zweidrittelmajorität bei Anwesenheit von drei Viertel der Mit- 
glieder in beiden Kammern. Württemberg (§ 176) begnügt sich mit Zweidrittelmehrheit bei ge- 
wöhnlicher Präsenz, Preußen sogar mit einfacher Mehrheit, fordert jedoch — VlU. Art. 107 — 
zwei Abstimmungen in beiden Häusern des Landtags, zwischen denen ein Zeitraum von wenig- 
stens 21 Tagen liegen muß. 
3. Der zwischen Krone und Landtag vereinbarte Gesetzesinhalt ist, insbesondere auch in 
dem Falle, wenn die Regierungsvorlage unverändert die Genehmigung der Kammern erhalten 
hat, noch nicht Gesetz. Um es zu werden, bedarf er der Sanktion durch den Monarchen. Die 
Sanktion ist der staatsrechtlich bedeutsamste Schritt auf dem Wege der Gesetzgebung, der eigentlich 
zentrale Akt des Verfahrens, denn durch sie erst tritt dem Gesetzesinhalt der Gesetzesbefehl hinzu, 
wird Gesetz, was bis dahin nur Gesetzentwurf war. 
Die Sanktion steht dem Monarchen ausschließlich zu. Ihr Gegenstand ist der mit dem Land- 
tage vereinbarte Gesetzesinhalt als Ganzes. Sie kann nur ganz erteilt oder ganz verweigert, 
nicht aber teilweise gegeben, auch nicht mit Bedingungen verbunden werden. Das Recht 
des Monarchen, die Sanktion schlechthin zu verweigern, schließt das Recht ein, sie zurzeit zu ver- 
weigern, — ihre Erteilung hinauszuschieben. Und zwar auf unbestimmte Zeit, es sei denn, daß 
Verfassung oder Gesetz ausdrücklich ein anderes anordnen, wie z. B. nach bayerischem Recht 
(Gesetz über den Geschäftsgang des Landestages, vom 19. Januar 1872, Art. 40) die Sanktion 
spätestens bei Schluß des Landtags im „Landtagsabschiede“ zu erteilen oder zu verweigern ist. 
Dem Staatsrecht der übrigen (größeren) deutschen Einzelstaaten sind solche Zeitschranken fremd. 
Die Meinung, welche die Sanktion von Gesetzen nach Schluß der Session, in der sie verabschiedet 
wurden, oder nach Schluß der Legislaturperiode für unzulässig hält (v. Hoenne, Schulze, 
G. Meyer), verwechselt das politisch Wünschenswerte mit dem rechtlich Notwendigen 1. 
Die Sanktion kann zurückgenommen werden, aber nur solange das Gesetz noch nicht für den 
Monarchen selbst bindend und unverbrüchlich, solange es noch nicht publiziert ist (s. unten, 4). Die 
Erteilung der Sanktion geschieht durch Unterzeichnung der Gesetzesurkunde seitens des Monarchen. 
Diese Unterzeichnung — ein Regierungsakt, welcher wie jeder andere ministerieller Kontra- 
signatur bedürftig ist, bezweckt und bewirkt uno actu ein Dreifaches: die Sanktion, die Aus- 
sertigung der Gesetzesurkunde — unter unwiderleglich beweiskräftiger Bescheinigung der 
Legalität des Zustandekommens und der Authentizität des Gesetzestextes — und den Befehl zur 
Vornahme der Verkündigung. 
4. Die Verkündigung (Publikation) bringt das Gesetzgebungsverfahren 
zum Abschluß. Läßt die Sanktion das Gesetz entstehen, so macht erst die Verkündigung es ver- 
bindlich für jeden, den es angeht. Die Verkündigung erfolgt, unter Verantwortlichkeit der Minister, 
welche die Gesetzesurkunde kontrasigniert haben, durch Abdruck der letzteren in dem gesetzlich hierzu 
bestimmten amtlichen Blatt (Gesetzsammlung, Gesetz= und Verordnungsblatt, Regierungsblatt 
usw.) mit Anwendung einer dem Gesetzestext voraufgehenden solennen Formel (Publikations- 
formel), welche nach der Vorschrift mancher Verfassungen die Zustimmung des Landtags (auch 
wohl die Anhörung des Staatsrats oder Staatsministeriums) erwähnen muß. Das Gesetz tritt in 
Ermangelung einer besonderen von ihm selbst getroffenen Zeitbestimmung an demjenigen Tage 
in Kraft, welcher durch allgemeines Gesetz für das Inkrafttreten der Landesgesetze festgesetzt ist 
(z. B. preuß. Ges. vom 16. Februar 1874; die Gesetze treten mit Ablauf des 14. Tages nach Aus- 
gabe des betreffenden Stückes der Gesetzsammlung in Kraft). Fehlt es an solchen allgemeinen 
Vorschriften und an einer besonderen Bestimmung im Einzelfalle, so tritt das Gesetz sofort, d. h. 
mit dem Augenblick der Publikation in Kraft. 
II. Nach Reichsstaatsrecht. — „Die Reichsgesetzgebung wird“, so sagt die RV. in ihrem 
fünften Artikel, „ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag. Die Übereinstimmung der 
Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.“ 
1 Sie ist auch in der Staatspraxis nicht anerkannt. Vgl. Laband 2 35 und DJg. 1904, 
321 ff. — Ein Endtermin kann der Sanktion aber dadurch gesetzt sein, daß das vereinbarte Gesetz 
den Tat, seines Inkrafttretens entsprechend bestimmt („dieses Gesetz tritt spätestens am . 
in Kraft").
	        
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