Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

162 G. Anschutz. 
Insoweit, wohlverstanden, die Verordnung nicht nur formell (nach dem Subjekt und der 
Form des Erlasses), sondern auch inhaltlich, materiell nicht anderes, nicht ein mehreres 
darstellen will als einen Verwaltungsart, bedarf das Verordnungsrecht keiner besonderen verfas- 
sungs- oder gesetzmäßigen Begründung: Verordnungen in diesem materiellen Sinne, 
Verwaltungsverordnungen, zu erlassen, ist eine in der „vollziehenden Gewalt“ 
von selbst inbegriffene Funktion. So ist es z. B. ohne Frage Beruf und Pflicht der Verwaltung, 
für Vollzug und richtige Handhabung der Gesetze zu sorgen nicht allein durch Verfügungen im 
Einzelfall, sondern, soweit erforderlich und zweckdienlich, auch durch verordnungsmeäßige, 
d. h. allgemeine Anordnungen, wie namentlich durch Erlaß von Dienstanweisungen (In- 
struktionen) an die zuständigen Behörden und Beamten. Das Recht der Verwaltungsverordnungen 
(über deren Haupttypen und Arten s. weiter unten) steht sonach der Staatsregierung und ihren 
Organen nicht nur dort zu, wo es die Verfassung ausdrücklich erwähnt 1, sondern auch dort, woa 
Verfassung und Gesetze darüber schweigen 2. 
Ganz verschieden von den bisher besprochenen Verwaltungsverordnungen sind die Rechts- 
verordnungen: Verordnungen, welche Normen enthalten, deren Erlaß an und für sich, 
nach den allgemeinen Grundsätzen der konstitutionellen Gewaltenteilung, Sache der vollziehen- 
den Gewalt nicht, sondern der Legislative vorbehalten ist, also Rechtsnormen (oben 
S. 151—154). Die Rechtsverordnung ist nur der Form nach eine Verordnung, der Sache nach ein 
Gesetz: ein Gesetz im materiellen Sinne, welches von einem anderen erlassen ist als von dem 
konstitutionellen Gesetzgeber, eine Rechtsnorm, welcher die Form des Gesetzes fehlt. Dieses Fehlen 
kann niemals selbstverständlich sein, bedarf vielmehr überall einer besonderen verfassungs= oder 
gesetzmäßigen Begründung. Denn, wie oben S. 152 ff. näher erörtert, die rechtssatzmäßige Re- 
gulierung aller Willensbeziehungen (zwischen den einzelnen untereinander und zwischen Staat 
und einzelnen) ist nach dem Verfassungsrecht der Einzelstaaten wie des Reiches der Legislative 
ebenso vollständig wie ausschließlich übertragen. Aus der Innehabung der vollziehenden Gewalt 
kann an sich nicht die Befugnis zur Anderung oder Ergänzung der Rechtsordnung gefolgert werden. 
Die vollziehende Gewalt kann vielmehr, wie jedermann außer dem Gesetzgeber, zu jener Befugnis 
nur gelangen durch Delegation seitens des Gesetzgebers. Anders ausgedrückt: Rechtsverord- 
nungen sind nurmit gesetzlicher Ermächtigung zulässig. (Die nähere 
wissenschaftliche Begründung dieses Satzes ist gegeben: auf allgemeiner, rechtsgeschichtlicher und 
rechtsvergleichender Grundlage insbesondere von Jellinekt; nach Reichsstaatsrecht von 
Laband, Haenel, v. Seydel, für Preußen von Anschütz, für Bayern von v. Sey- 
del, in den oben S. 151, 152 Anm. angeführten Schriften.) 
Der Unterschied zwischen Verwaltungs- und Rechtsverordnung ist nach dem vorstehend 
Gesagten dieser: Verwaltungsverordnungen sind Verordnungen, welche Einrichtungen und 
Tätigkeit des Staates innerhalb der Schranken des geltenden Rechts regeln. Sie betreffen Interna 
des Staatsorganismus, erzeugen Gehorsamspflichten lediglich dienstlicher Natur (auf seiten des 
unteren Staatsorgans gegenüber dem höheren); in Freiheit und Eigentum der Untertanen greifen 
sie nicht ein. Ihr Erlaß bedarf gesetzlicher Ermächtigung nicht. Rechtsverordnungen sind solche, 
welche mit Gebot oder Verbot an die Untertanen sich wenden und in deren Freiheit und Eigentum 
(Rechtsstand) eingreifen. Sie können nur mit gesetzlicher Ermächtigung erlassen werden. Die 
Ermächtigung kann enthalten sein in der Verfassung oder in einem einfachen Gesetz. Auch vor- 
konstitutionelle Gesetze (Gesetze des absoluten Staates) können heute noch als Titel zum Erlaß 
1 Vgl. preuß. V U. Art. 45: „Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu .. . . Er 
befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erläßt die zu deren Ausführung nötigen Verordnungen". 
Noch allgemeiner gefaßt sind die entsprechenden Bestimmungen der sächs. und bad. V U.; Sachsen 
(6 87): „Der König erteilt die zu deren (der Gesetze) Vollziehung und Handhabung erforderlichen, 
sowie die aus dem Aufsichts- und Verwaltungsrechte fließenden Verfügungen und Verordnungen“; 
bad. VU. 5 66: „Der Großherzog . erläßt die aus dem Aufsichts= und Verwaltungsrechte ab- 
fließenden ... Verfügungen, Reglements und allgemeinen Verordnungen"“. 
* — wie in Bayern (v. Se 3 del, Bayer. Staatsr. 2 327) und Elsaß-Lothringen. Das 
Verwaltungsverordnungsrecht in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten steht dem Kaiser 
u als integrierender Teil der vollziehenden Gewalt, welche ihm mit der gesamten „Staatsgewalt“ 
im Reichslande durch RG. vom 9. Juni 1871, 3 3 (oben 5 24) übertragen ist.
	        
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