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gesetzgebung, dies Landesrecht zu ändern. Damit war aber eben das bewirkt, was das Wesen
der Ausschließlichkeit einer Gesetzgebungskompetenz des Reiches ausmacht (s. oben
S. 159): die Verneinung des Rechts der Einzelstaaten, sich auf dem betreffenden Gebiete in
irgendeiner Art gesetzgeberisch betätigen zu dürfen. Es war durch Art. 61 RV. mit einem
Schlage materielle Rechtseinheit des Militärwesens hergestellt: eine provisorische Rechts-
einheit, welche alsbald vom Reiche pflichtmäßig (vol. Art. 61 Abs. 2) durch eine definitive,
durch eine Kodifikation des Militärrechts von Reichs wegen ersetzt werden sollte. Letzterer Pflicht
ist denn auch in der Folge genügt worden. Zwar nicht durch den Erlaß eines einzigen,
„umfassenden Reichsmilitärgesetzes“ im Sinne von Art. 61 Abs. 2, sondern stückweise, durch eine
lange Reihe von Einzelgesetzen, welche, anhebend mit dem norddeutschen Bundesgesetz, betreffend
die Verpflichtung zum Kricgsdienst, vom 9. November 1867, vorläufig abschließend mit der
Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898, die in den Jahren 1867 und 1871 auf ganz
Deutschland ausgedehnte ältere preußische Militärgesetzgebung nunmehr bis auf unbedeutende
Reste durch neues gemeines Recht ersetzt, damit jenes Provisorium aufgehoben und in den Bereich
der Militärrechtseinheit auch Bayern einbezogen hat, welches kraft seines Sonderrechts (III
§5, zu l des Versailler Vertrags vom 23. November 1870) zwar von der Einführung der preußi-
schen Gesetze, also von der provisorischen, nicht aber von der definitiven Rechtseinheit dispensiert
worden war.
Das Einspruchsrecht (Veto) Preußens im Bundesrate gegen Gesetzentwürfe, welche eine
Abänderung der bestehenden Heereseinrichtungen bewirken, wurde bereits oben S. 100 erwähnt.
Mit der Gesetzgebungshoheit steht dem Reiche auch das Rechtsverordnungs-
recht (oben § 42 S. 158, 162 ff.) in Militärsachen ausschließlich zu. Nur auf Grund reichs-
gesetzlicher Ermächtigung können daher Reichs= wie Landesorgane die Befugnis zum Erlaß
von Rechtsverordnungen über Gegenstände des Heereswesens erlangen.
Nicht das gleiche, d. h. die ausschließliche Reichszuständigkeit, gilt für die militärischen
Verwaltungsvverordnungen. Wie oben §& 42 S. 162 ff. dargelegt, ist das Recht, Ver-
waltungsverordnungen zu erlassen, als solches nicht Ausfluß der gesetzgebenden, sondern der
vollziehenden Gewalt; es ist das Amt dessen, dem die Exekutive zusteht. Da nun auf dem Ge-
biete des Heereswesens, abweichend von dem der Kriegsmarine, eine allgemeine und grund-
sätzliche Ubertragung nicht nur der Legislative, sondern auch noch der Exekutive auf das Reich
nicht stattgefunden hat, da mit dem Reichskanzler (s. die Denkschrift, veröffentlicht im Arch. f.
öff. R. 4, 150 ff.) auch heute noch „davon auszugehen ist, daß die Reichsverfassung . die Militär-
hoheit der Einzelstaaten nicht beseitigt und denselben insbesondere die Verwaltung der
Militärangelegenheiten belassen hat“, so folgt, daß auch das Verwaltungs verordnungs-
recht, als ein integrierender Bestandteil der Verwaltungshoheit, grundsätzlich Landes sache
geblieben und Reichssache nur insoweit geworden ist, als dieses aus besonderen Bestimmungen
der Reichsverfassung oder der Reichsgesetze sich ergibt v. Seydel, Komm. S. 360; An-
schütz, Gegenwärtige Theorien S. 85, 86). Solche Bestimmungen sind nun freilich in reichem
Maße vorhanden, und auch sonst ist Vorsorge getroffen, daß durch die Handhabung der kontin-
gentsherrlichen Verordnungsgewalt eine partikularistische Zersplitterung der Verwaltungs-
ordnung des Heeres nicht eintreten kann (RV. Art. 63 Abs. 5; s. unten).
1. Zunächst steht der Reichsgewalt das Recht, Ausführungsverordnungen
zu ihren Gesetzen zu erlassen, wie überhaupt (RV. Art. 7 Nr. 2; vgl. oben S. 165), so
auch hier, im Bereiche des Heereswesens zu. Die meisten Reichsmilitärgesetze (z. B. F 71
AMil Ges. vom 2. Mai 1874, § 36 Wehrpflicht Ges. vom 11. Februar 1888, § 3 Ges. betr. d.
Ersatzverteilung vom 26. Mai 1893) ermächtigen unter Ausschaltung der generellen Zuständig-
keit des Bundesrates (Art. 7 Nr. 2 RM.) den Kaiser zum Erlaß der „Ausführungsbestimmungen“.
2. Die nicht in den Rahmen des Art. 7 Nr. 2 RV. fallenden, weil nicht zum Vollzuge
eines bestimmten Reichsgesetzes erlassenen (selbstän digen“) militärischen Verwaltungs-
verordnungen lassen sich in zwei Gruppen scheiden: Armeebefehle und Armeever-
ordnungen.
a) Zur Kategorie „Armeebefehl“ gehören alle Verordnungen, welche sich als Ausfluß
der militärischen Kommandoge walt darstellen. Da nun (s. unten II S. 178, 179) die Kom-