Deutsches Staatsrecht. 179
mandogewalt als solche, als Ganzes dem Reiche übertragen ist und namens desselben vom
Kaiser ausgeübt wird, so erhellt, daß insoweit, im sachlichen Umfange der Kom-
mandogewalt, auch das Verordnungsrecht dem Reiche ausschließ-
lich gehört. Kein anderer als der Kaiser namens des Reichs kann demnach Verordnungen
erlassen, welche die Einübung und Ausübung des Waffenhandwerkes unmittelbar
betreffen und an die bewaffnete Macht sich richten. Es gehören hierher: organisatorische Be-
stimmungen, Formation der gesetzlich nicht festgelegten Kadres, Exerzierreglements, Schieß-
vorschriften, Felddienstordnungen, Manöver= und Mobilmachungspläne, nach positivrechtlicher
Vorschrift (§8 MMilGes. vom 2. Mai 1874) auch die Bestimmungen über die Disziplin
(s. hierüber Anschütz a. a. O. S. 90 Anm. 1). Wie alle Akte der Kommandogewalt be-
dürfen auch die Verordnungen dieser Gewalt, die allgemein gefaßten Armeebefehle, ihrer
Gültigkeit keiner ministeriellen Gegenzeichnung, also auch nicht der des Reichskanzlers (vagl.
oben S. 112). UÜber das bayr. Sonderrecht s. unten unter 1I S. 180.
b) Den Typus der „Armeeverordnung“ verkörpern im Gegensatz zu den Armee-
befehlen alle Vorschriften, welche die Militärverwaltung im engeren Sinne dieses
Wortes regeln, also Bestimmungen treffen über die Herstellung der zur Betätigung der Kom-
mandogewalt, für die Entfaltung der militärischen Aktion erforderlichen Vorbedingungen und
Mittel. Dieses Armeeverordnungsrecht im engeren Sinne steht nur ausnahmsweise bei Kaiser
und Reich, soweit nämlich einzelne Zweige der militärischen Administration zu Gegenständen
eigener und unmittelbarer Reichsverwaltung erklärt sind (z. B. das Festungswesen nach
RV. Art. 65), — im übrigen bei den Einzelstaatsgewalten, den Kontingentsherren. Freilich
bedeutet dieses Verordnungsrecht für die Verwaltungen der außerpreußischen Kontingente
(vorbehaltlich des auch hier bestehenden bayerischen Sonderrechts: Vertrag vom 23. November
1870, III 9§ 5, zu III Abs. 3) nicht mehr als ein bloßes Ehrenrecht. Wenn nämlich Art. 63
Abs. 5 RV. bestimmt:
„Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, Verpflegung,
Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppenteile des deutschen Heeres sind die bezüglichen
künftig ergehenden Anordnungen für die preußische Armee den Kommandeuren der übrigen
Kontingente durch den Art. 8 Nr. 1 genannten (Bundesrats-) Ausschuß für das Landheer
und die Festungen zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzutceilen“,
so ist hiermit das Armeeverordnungsrecht in seinem ganzen Umfange als ein partiku-
lares, kontingentsherrliches Recht vorausgesetzt und anerkannt; denn andernfalls, wenn es
dem Reiche zustünde, wären besondere Vorkehrungen „behufs Erhaltung der unentbehrlichen
Einheit" nicht erforderlich: die Einheit wäre von selbst gewährleistet. Diese Vorkehrungen zur
Herbeiführung gleichmäßiger Armeeverwaltungseinrichtungen sind in der Weise getroffen, daß
die für die preußische Armee (vom König oder vom Kriegsministerium) erlassenen Verordnungen
überall auch im Bereiche der anderen Kontingente eingeführt und von den Kontingentsherren
abgeändert werden müssen, sobald und soweit sie in Preußen abgeändert werden. Im prak-
tischen Effekt beherrscht also der Wille des Kaisers und Königs von Preußen das militärische
Verordnungsrecht in der Sphäre sowohl der Kommandogewalt (Art. 63 Abs. 1) wie der Militär-
verwaltung (Art. 63 Abs. 5). Die im Art. 63 Abs. 5 vorgesehene Vermittlertätigkeit des Bundes-
ratsausschusses für Landhe##er und Festungen ist nur Botendienst, nicht mehr; nicht etwa ist sie
dazu bestimmt, den preußischen Verordnungen den Reichsstempel aufzuprägen. Ubrigens ist
diese Zuständigkeit des Heeresausschusses auf dem Papier stehengeblieben: die preußischen
Armeeverordnungen werden den beiden Kontingentsverwaltungen, welche praktisch hier über-
haupt noch in Frage kommen, der sächsischen und der württembergischen, mit Umgehung des
Ausschusses direkt zugefertigt (ogl. Seydel, Komm. S. 359, 360, 363). —
Ein mächtiges Stück Reichs gewalt zeigt sich ferner in den Militärhoheitsrechten, deren
Inbegriff man zusammenfassend bezeichnen kann als:
II. Kriegsherrlichkeit des Kaisers. Diese setzt sich zusammen aus der
kaiserlichen Kommandogewalt (NV. Art. 63 Abs. 1, 64 Abs. 1) nebst deren Bestand-
1 Die Ausdrücke „Administration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung“" wollen nicht
vier Gegenstände des Armeeverordnungsrechts bezeichnen, sondern alle.
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