Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

188 G. Anschütz. 
prüfung als einer Verwaltungstätigkeit), auch aus einer den mittelstaatlichen Verfassungen durch- 
weg gemeinsamen positiven Vorschrift, welche dahin geht, daß die Stände die Bewilligung der 
Steuern micht an Bedingungen knüpfen dürfen (Tit. VII § 9 bayer., § 56 bad., 
* 113 württ., § 102 sächs. VU.). Diese Vorschrift besagt: Nur eine Bedingung ist der Steuer- 
bewilligung immanent, mit ihr kraft der Verfassung von selbst verbunden: die, daß die Steuer= und 
alle anderen Einnahmen nur zur Bestreitung des vereinbarten Budgets verausgabt werden dürfen: 
jede andere und weitere Bedingung, die der Landtag der Steuerbewilligung etwa einseitig hinzu- 
sügen möchte, ist staatsrechtlich unzulässig. Unzulässig ist z. B. die Zumutung an die Krone, einen 
der Landtagsmehrheit nicht genehmen Minister zu entlassen, unzulässig insbesondere die Steuer- 
bewilligung unter der Bedingung, daß die Regierung ihre Einwilligung gibt zur Abänderung oder 
Aufhebung von bestehenden Gesetzen und gesetzlichen Einrichtungen. Zusammengefaßt: den 
Landtagen der Mittelstaaten steht das Recht der Einnahm e bewilligung nur hinsichtlich der 
Steuern (in Bayern nur der direkten Steuern), außerem nur insoweit, als es die Verfassung aus- 
drücklich gewährt (Erfordermis ständischer Zustimmung zur Veräußerung von Domänen, Auf- 
nahme von Anleihen, oben S. 185), im übrigen aber nicht zu (Recht und Pflicht der Regierung, 
das Staatsvermögen nutzbringend zu verwalten und die daraus fließenden Einkünfte zu erheben, 
sind unabhängig von der Anerkennung des Landtages), während ein Ausgabe bewilligungs- 
und bzw. verweigerungsrecht formell überhaupt nicht, materiell aber und mittelbar allerdings 
insoweit zugestanden ist, als der Landtag nur notwendige, nicht dagegen auch willkürliche Ausgaben 
in der Budgetvorlage stehen lassen und im Hinblick auf sie die Steuern bewilligen muß. 
2. Im Gegensatz zu dem bisher besprochenen Budgetrechtssystem läßt die preußische 
Verfassungsurkunde ebenso wie die ihr im Punkte des Budgetrechts nachgebildete Reichsver- 
fassung einen näheren oder auch nur entfernteren Zusammenhang mit dem Finanzwesen des 
alten Ständestaates überall nicht erkennen. Die altständischen Einrichtungen, welche früher auch 
in den Territorien bestanden hatten, aus denen der preußische Staat zusammengefügt worden ist, 
waren von der Gegenwart durch eine unüberbrückbare, jede geschichtliche Kontinuität zerstörende, 
ja, fast den Faden der Erinnerung zerschneidende Kluft getrennt, als man im Jahre 1848 in Preußen 
daranging, mit der konstitutionellen Verfassung auch ein konstitutionell geprägtes Finanzrecht 
einzuführen. Nahezu zwei Jahrhunderte hatte der monarchische Absolutismus gedauert, der das 
Ständewesen der alten Zeit einst vernichtet hatte. Nichts lag den Urhebern der preußischen Ver- 
fassung ferner als eine pietätvolle Restauration jener längst vergangenen, fast vergessenen Dinge; 
nicht diese waren Richtschnur und Vorbild, sondern das neuzeitliche Ausland: der französische und 
vor allem der damals als mustergültig geltende belgische Konstitutionalismus: die belgische 
Verfassung von 1831. Letztere schreibt, eine in Frankreich entwickelte Staatspraxis aufnehmend 
und kodifizierend, vor, daß alle Einnahmen und Ausgaben des Staates in das von den Kammern 
jährlich zu votierende Budget eingestellt werden müssen: „Chaque année, les Chambres 
votent le budget. Toutes les recettes et dépenses de I’Etat doivent étre portées au budget.' 
(Const. belge, art. 115.) Die das Jahr 1848 beherrschende konstitutionelle Doktrin legte dieses 
Vorbild des Art. 99 der preußischen Verfassungsurkunde im Sinne eines absoluten Ausgabe- 
und Einnahmebewilligungsrechts aus: „voter le budget' hieß den Staatshaushalt nach sou- 
veränem Ermessen regeln, unter Beachtung oder auch Nichtachtung der geltenden Gesetze und be- 
stehenden gesetzlichen Vorschriften; insbesondere sollte darin auch die Befugnis der Steuerverwei- 
gerung liegen: „les impöts au profit de l’Etat sont votés annuellement. Les lois, qui les Stablissent 
n’ont de force due pour un an.’ sagte das belgische Muster (a. a. O. Art. 111). Entsprechend 
verhieß denn auch die preußische Verordnung über einige Grundlagen der küftigen Verfassung vom 
6. April 1848, § 6: „Den künftigen Vertretern des Volkes soll jedenfalls die Zustimmung 
zur Festsetzung des Staatshaushaltsetats und das Steuerbewilli- 
gungsrecht zustehen.“ Nicht nur Art. 115, sondern auch Art. 111 der belgischen Verfassung 
sollten also in das konstitutionelle Preußen importiert werden. Die Entwicklung führte indessen 
dahin, daß wohl das eine, von dem anderen aber das Gegenteil geschah. Den Grundsatz der all- 
jährlichen parlamentarischen Budgetvotierung enthält Art. 99 der preußischen Verfassungsurkunde: 
„Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf 
den Staatshaushaltsetat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt.“ 
Dagegen findet sich Art. 111 der constit. belge in der preußischen Verfassung nicht wieder. Viel-
	        
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