Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

190 G. Anschütz. 
mittelnde Sinn der VU. und ihres Budgetrechts ist vielmehr der: die Vorschrift, daß der Etat 
jährlich, „durch ein Gesetz“ festzustellen sei, ändert an der materiellen rechtlichen Natur des Etats 
nichts. Diese Natur ist und bleibt auch im Gewande des formellen Gesetzes die eines Verwal- 
tungsaktes. Die nach Art. 99 notwendige Gesetzesform des Etats ist n ur Form. Sie wan- 
delt den Inhalt dessen, was sie bekleidet, nicht um. Das Erfordernis ihrer Anwendung gibt dem 
Landtag nicht das Recht, der Etatsvorlage gegenüber die gleiche Stellung einzunehmen wie zu 
jeder anderen Gesetzesvorlage, nämlich die Stellung legislativer Freiheit, welche die Befugnis 
diskretionärer Zustimmung, Ablehnung, Amendierung in sich schließt. Auch der preußische Land- 
tag steht dem ihm vorgelegten Budget nicht in legislativer Freiheit, sondern in administrativer 
Gebundenheit gegenüber: er darf, wie die Ständeversammlung der Mittelstaaten, Ausgabeposi= 
tionen des Etats nur unter der Bestreitung ihrer gesetzlichen Notwendigkeit verweigern, nicht aber 
durch beliebige, einseitige Streichungen im Ausgabeetat die Regierung hindern, die Gesetze zu 
vollzichen, gesetzlich notwendige Einrichtungen aufrechtzuerhalten, die Rechtspflichten des Staates 
gegen Dritte zu erfüllen. 
Das Budget der Reichsverfassung ruht, wie Art. 69 RV. („Alle Einnahmen und 
Ausgaben des Reiches müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushaltsetat ge- 
bracht werden. Letzterer wird . durch ein Gesetz festgestellt“) zeigt, auf den gleichen Grundlagen 
wie das preußische. Es unterscheidet sich von dem letzteren nur darin, insoweit aber auch er- 
heblich, als es, abweichend von dem preußischen Recht, auf der Einnahmeseite des Etatsbeweg- 
liche Faktoren, d. h. ordentliche Einnahmen kennt, für deren Erhebung die budgetmäßige 
Bewilligung Voraussectzung ist. Diese beweglichen Faktoren sind: einmal und vor allem die 
Matrikularbeiträge (oben S. 184): sie dürfen nur erhoben werden, wenn der Reichs- 
tag sie bewilligt hat, und nur in Höhe dieser Bewilligung („in Höhe des budgetmäßigen Betrages“, 
RV. Art. 70). Sodann: die Einnahmen, welche aus der Veräußerung von Reichsvermögen ge- 
macht werden wollen: R. über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauch einer Reichs- 
verwaltung dienenden Gegenstände vom 25. Mai 1873, § 10 (oben S. 185). Der Einfluß des 
Reichstages auf die Gestaltung der Einnahmeseite des Budgets ist demnach weitaus stärker als der 
des preußischen Landtages. 
Die von den Landesverfassungen und von der Reichsverfassung geforderte Budgetmäßig- 
keit der Finanzverwaltung ist bedingt durch das rechtzeitige, d. h. vor Beginn der neuen Finanz- 
periode erfolgende Zustandekommen einer Vereinbarung zwischen Regierung und Volksvertretung. 
UÜber die Frage, was zu geschehen hat, wenn der trotz allem denkbare und dagewesene Fall der 
„Budgetlosigkeit“, d. h. des Nichtzustandekommens oder nicht rechtzeitigen Zustandekommens des 
Budgets, sich ereignet, sagen die Verfassungen nichts, nötigen also zu einer Entscheidung des 
Problems nach allgemeinen Grundsätzen. Wer, wie Haenel, Zorn, v. Martitz u. a. (s. oben 
S. 189), in dem verfassungsmäßig vereinbarten Budget die durch nichts ersetzbare Ermächtigung 
zur Fortführung der Finanzverwaltung erblickt, wird nicht umhin können, zu folgern, daß bei 
eintretender Budgetlosigkeit die Finanzwirtschaft und damit die Staatsmaschine von Rechts 
wegen stillestehen müssen. Diese Folgerung ist politisch ebenso widersinnig, wie ihre Prämisse 
staatsrechtlich unrichtig ist. Falsch wäre es ferner, für den Fall der Budgetlosigkeit die Verfassung 
zu einer „unvollziehbar“ gewordenen Norm zu erklären und die vorkonstitutionelle Macht- 
vollkommenheit der Krone zu proklamieren, — für das Reichsrecht eine (trotz Seydel, 
Komm. S. 396, 397) schon deshalb unmögliche Konstruktion, weil das Reich eine absolute 
Monarchie niemals gewesen ist. 
Eine weit verbreitete, durch Labands Autorität herrschend gewordene Meinung geht da- 
hin: an Stelle der nicht zustande gekommenen speziellen Schranke der Finanzverwaltung, 
des Etatgesetzes, treten allgemeine aber nicht absolutistische, sondern konstitutionelle Grund- 
sätze. Diesen zufolge bleibt die Regierung auch bei fehlendem Budget so berechtigt wie verpflichtet, 
die Gesetze zu vollziehen und die rechtlichen Verpflichtungen des Staates zu erfüllen, mithin auch 
die gesetzlich angeordneten Abgaben zu erheben und die zur Erfüllung jener Verpflichtungen. 
nötigen Ausgaben zu leisten, während freilich andere als solche gesetzlich notwendige Einnahmen 
und Ausgaben ohne Budget nicht bewirkt werden dürfen. Auch dieser Meinung kann, soweit sie 
nicht, wie in Elsaß--Lothringen geschehen (Verfassungs-Ges. vom 31. Mai 1911 Art. II 8 5 Abf. 4), 
durch das positive Recht ausdrücklich rezipiert ist, nicht beigetreten werden. Richtig ist (vgl. oben),
	        
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