Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 191 
daß die Volksvertretung nur rechtlich willkürliche, nicht rechtlich notwendige Etatspositionen 
streichen darf, unrichtig aber, wenn hieraus gefolgert wird, daß die Verletzung der parlamentarischen 
Bewilligungspflicht die Regierung berechtigte, ohne Budget zu regieren. Das Verfassungsgebot, 
welches ein alljährlich neu zu erlassendes Etatgesetz als Grundlage der Finanzverwaltung fordert, 
ist ein un bedingtes; die Verfassung kennt kein budgetloses Regiment, auch nicht für den 
Fall, daß das Budget durch Schuld und Machtüberschreitung des Parlaments zum Scheitern 
gebracht wird. Es ist daher auch von vornherein verfehlt, aus der Verfassung Rechtsregeln für 
die Führung der Staatsgeschäfte ohne Budget herauslesen zu wollen. Sicher ist nur eines: die 
Verfassung will nicht, kann nicht wollen, daß bei eintretender Budgetlosigkeit das Staatsleben 
stillsteht. Also kann sie auch nicht wollen, daß die Finanzverwaltung stillsteht, denn die Staats- 
tätigkeit ist keinen Augenblick denkbar ohne Finanzverwaltung. Die Verfassung fordert mithin 
kategorisch, daß die Finanzverwaltung geführt werden muß, daß sie auch bei nicht zustande 
gekommenem Etatsgesetz weitergeführt werde. Aber das Wie dieser Finanzverwaltung bindet 
die Verfassung ebenso kategorisch, ebenso unbedingt an eine Richtschnur, die für jede Budget 
periode von den obersten Organen des Staates festzusetzen ist, von Organen, die sich einigen 
sollen und doch nicht gezwungen werden könne, sich zu einigen, von denen keines verpflichtet ist, 
dem anderen nachzugeben, — deren mangelndes Einverständnis durch niemand ersetzt werden 
kann. Es liegt eine sogenannte echte Lücke im Recht vor, welche durch keinerlei juristische 
Deduktionen ausgefüllt werden kann. Das Staatsrecht hört hier auf; die Frage, wie bei nicht 
vorhandenem Budget zu verfahren sei, ist keine Rechtsfrage 1. 
III. Die Kontrollen der Haushaltführung; Finanz= oder Rechnungskontrolle. Es handelt 
sich hier um Staatstätigkeiten, welche prüfen, ob die Finanzverwaltung in einer abgelaufenen 
Wirtschaftsperiode nach Maßgabe des Etats (Budgets), der Gesetze und der bestehenden Verwal- 
tungsvorschriften geführt worden ist, ob das Ist mit dem Soll im Einklang steht. Im konstitutio- 
nellen Staate ist zu unterscheiden zwischen 1. der administrativen (internen) Rech- 
nungskontrolle innerhalb der Hierarchie des Verwaltungsorganismus (die untere Behörde hat 
der oberen, die Gesamtheit der Behörden dem Monarchen Rechnung zu legen) und 2. der par- 
lamentarischen Kontrolle: die Kontrolle der als einheitliches, wirtschaftendes Subjekt vor- 
gestellten Finanzverwaltung durch die Volksvertretung. 
In der absoluten Monarchie bestand natürlich nur die erstere Art der Kontrolle. In Preußen 
wurde als Organ derselben schon 1714 eine oberste, dem König unmittelbar untergeordnete 
Behörde, die „Generalrechenkammer“, später und heute „Ober-Rechnungskammer“ 
genannt, begründet, mit dem Auftrage, sämtliche Staatsrechnungen und die Gebarung aller Staats 
kassen nachzuprüfen und die Dechargierung durch den König vorzubereiten. Seit und auf Grund 
der Verfassung (preuß. VU. Art. 104) fungiert die Oberrechnungskammer gleicherweise als Organ 
der administrativen wie der parlamentarischen Kontrolle. „Die Rechnungen über den Staats- 
haushaltsetat werden von der Oberrechnungskammer geprüft und festgestellt. Die allgemeine 
Rechnung über den Staatshaushalt jeden Jahres wird mit den Bemerkungen der Ober- 
rechnungskammer zur Entlastung der Staatsregierung den Kammern vorgelegt" (a. a. O. Art. 104 
Abs. 2). Zur Ausführung des Art. 104 erging das Gesetz über die Einrichtung und die Befugnisse 
der Oberrechnungskammer vom 27. März 1872. Danach steht diese Behörde der Krone wie der 
Finanzverwaltung in vollkommener, quasi-richterlicher, Unabhängigkeit gegenüber; ihre Mitglieder 
genießen die gesetzliche, insbesondere disziplinäre Stellung von Mitgliedern eines obersten Ge- 
richtshofes. Die „Bemerkungen", mit denen die Oberrechnungskammer die Vorlage der allgemeinen 
Staatsrechnung an den Landtag zu begleiten hat, müssen letzteren im ganzen und einzelnen über 
die Übereinstimmung der allgemeinen Rechnung mit den einzelnen Kassenrechnungen, über die 
Etats= und über die materielle Gesetzmäßigkeit der Finanzverwaltung im verflossenen Rechnungs- 
jahre unterrichten und vorgekommene Verfehlungen aufweisen. Auf Grund dieser Bemerkungen 
beschließt der Landtag über die Erteilung oder Versagung der Entlastung. Greifbare staatsrecht- 
liche Folgen hat, bei der mangelhaften Ausgestaltung der Ministerverantwortlichkeit (s. oben 
S. 127), die Versagung der Decharge nicht. Die preußische Oberrechnungskammer dient auf 
1 Vgl. Anschütz im Verwaltungsarchiv 14 338 ff.
	        
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