Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

16 G. Anschütz. 
zum Schutz des Bundesgebietes nach außen und zur Bewahrung des Friedens innerhalb des- 
selben. Ein Rechtsbegriff, vornehmlich abstrahiert aus den Staatenverbindungen, welche in 
Nordamerika (1778—1787), in der Schweiz (1815—1848) und in Deutschland, hier in Gestalt 
des Rheinbundes und Deutschen Bundes, durchweg als geschichtliche Vorstufe der nachmals 
erreichten vollkommneren bundesstaatlichen Einigung bestanden. Die Einzelheiten dieser in 
der gegenwärtigen Staatenwelt nicht vertretenen Assoziationsform werden unten (§58 5, 6) an 
den beiden deutschen Beispielen, namentlich an dem Deutschen Bunde näher demonstriert 
werden. 
2. Die staatsrechtlichen Staatenverbindungen zeigen eine Mehr- 
heit von Staaten als Untertanen einer höheren, gleichfalls staatlichen Gewalt, deram, daß der 
herrschende und die beherrschten Staaten mitsammen eine politische Einheit höherer Ordnung 
einen Staatenstaat (im weiteren Sinne) oder zusammengesetzten Staat dar- 
stellen. Jede staatsrechtliche Staatenverbindung ist also ein zusammengesetzter Staat; die 
Begriffe staatsrechtliche Staatenverbindung und zusammengesetzter Staat sind identisch. Zwei 
wesentlich verschiedene Gestaltungs- und Organisationstypen dieser Verbindungsweise sind denk- 
bar und dagewesen; ihr Gegensatz ist analog demjenigen, welcher die Herrschafts-- und Genossen- 
schaftsverbände des älteren deutschen Reichs (Gierke, Genossenschaftsrecht 1 89 ff., 135 ff.) 
voneinander scheidet. Den nach Art eines Herrschaftsverbandes zusammengesetzten Staat pflegt 
man im engeren und spezifischen Sinnes „Staatenstaat“ zu nennen (Jellinek, Staatsl., S. 730). 
Ein solcher, ein Verband, „in welchem einer das ist, was in der Genossenschaft alle sind“, war 
beispielsweise das türkische Reich in seiner Blütezeit, die Türkei mit ihren europäischen und 
afrikanischen Vasallenstaaten. Letztere standen unter der Oberherrlichkeit, „Suzeränität“ der 
ersteren; lediglich durch dieses Moment, durch den gemeinsamen Suzerän, wurden sie zur Einheit 
zusammengeschlossen; außer dem Herrn hatten sie nichts gemeinsam. Es ist deutlich, worin das 
Kennzeichen eines solchen Staatenstaates im engeren Sinne vor allem beruht: in der negativen 
Tatsache des Mangels eines Bundes verhältnisses. Es ist eine Staatenverbindung, die nichts 
Bündisches, nichts Genossenschaftliches an sich trägt, sondern eben rein herrschaftlich geartet 
ist. Die Vereinigung mehrerer Staaten bedeutet hier nicht gemeinsame Tätigkeit zur Erreichung 
des Gemeinzwecks, sondern gleichmäßige Unterwerfung unter den Willen einer höheren Gewalt, 
auf deren Willensbildung den unterworfenen Staaten ein Einfluß nicht eingeräumt ist. 
Das Wesen des Staatenstaates im engeren Sinne kommt also darauf hinaus, daß einer 
der verbundenen Staaten, der Suzerän, Alleinträger der die anderen beherrschenden 
Oberstaatsgewalt ist. Im Gegensatz hierzu zeigt die Oberstaatsgewalt bei der anderen, uns 
näher angehenden Form des zusammengesetzten Staates, dem Bundesstaate, ge- 
nossenschaftlichen Charakter, sie ruht hier in der korporativen Gesamtheit der ver- 
bundenen Staaten selbst, so daß jedes Glied dieser Gesamtheit Beherrschter zugleich und Mit- 
herrscher ist. Der Bundesstaat ist — sein Name sagt es — nicht sowohl eine Verbindung als eine 
Verbündung von Staaten: die über die Verbündeten herrschende Oberstaatsgewalt ist nichts 
anderes als der Gemeinwille der Verbündeten selbst, hervorgebracht durch das geordnete Zu- 
sammenwirken aller. So liegt der Unterschied zwischen Staatenstaat im engeren Sinne und 
Bundesstaat klar zutage. Verfassungsgeschichtlich weit bedeutsamer als der hiermit bezeichnete 
ist aber der andere Gegensatz: der, welcher die Begriffe Bundesstaat und Staatenbund trennt. 
Ist doch die Geschichte und endliche Erfüllung der deutschen Einheitsbestrebungen im 19. Jahr- 
hundert nichts anderes als die langdauernde Negation und schließliche Position des Bundes- 
staatsbegriffes in seinem Abstande vom Staatenbunde, — ein Entwicklungsschritt, der uns das 
„Pathos der Distanz“ zwischen den beiden Begriffen voll empfinden läßt. 
Im Staatenbunde herrscht der Gedanke der Vielheit, im Bundesstaate dagegen der der 
Einheit. Staatenbund und Bundesstaat verhalten sich, um den klassischen Satz Labands 
dem Leser nicht vorzuenthalten, zueinander wie die Kategorien Rechtsverhältnis und 
Rechtssubjekt. Der Staatenbund ist das — mit Notwendigkeit völkerrechtliche — 
Rechtsverhältnis einer Vielheit von Staaten (er ist nur ein Bund), wogegen der Bundesstaat 
die Vielheit zur Einheit eines von der Summe aller einzelnen Staaten verschiedenen, selb- 
ständigen staatlichen Subjekts, eines Gesamtstaatswesens verschmolzen zeigt (der Bundesstaat 
ist auch ein Bund, zugleich aber und vor allem ist er ein Staat).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.