198 Paul Schoen.
rechte stehen; desgleichen nicht der Erlaß von in die bestehende Rechtsordnung eingreifenden
Notverordnungen, der sich als provisorische Gesetzgebung charakterisiert. Die Ordnung eines
individuellen Falles durch die gesetzgebenden Organe ist nur dann Verwaltung, wenn sie sich
bewegt im Rahmen der geltenden Rechtsordnung, so, wenn gemäß dieser in Gesetzesform der
Etat aufgestellt oder die Genehmigung zur Veräußerung von Staatsgebäuden erteilt wird;
sie ist dagegen nicht Verwaltung, sondern Gesetzgebung (Individualgesetz), sobald die gesetz-
gebenden Organe bei ihr, wozu sie rechtlich in der Lage sind, den Boden der geltenden Rechts-
ordnung verlassen. 2. Der Verwaltungstätigkeit des Staates selbst steht ihrem Wesen und Zwecke
nach gleich die Tätigkeit von öffentlichen Verbänden, die der Staat sich eingegliedert und mit
der Wahrnehmung seiner Aufgaben betraut hat. Die Tätigkeit dieser Verbände ersetzt heute
in weitem Umfange die Tätigkeit von Staatsbehörden. Auch sie ist daher öffentliche Ver-
waltung und in einer Darstellung des Verwaltungsrechtes ebenso wie die eigentliche staatliche
Verwaltung aufzunehmen.
Berücksichtigen wir nun auch diese letzten Ausführungen, so ergibt sich die Begriffs-
bestimmung: Verwaltung ist die Tätigkeit, die der Staat und die
ihm eingegliederten öffentlichen Verbände zur Erreichung ihrer
Lebenszwecke im Rahmen der staatlichen Rechtsordnung ent-
wickeln, und die nicht Gesetzgebung und auch nicht Justiz ist.
III. Der rechtliche Charakter der Verwaltungstätigkeit.
1. Während Gesetzgebung und Justiz sich erschöpfen in der Ausübung der staatlichen
Herrschergewalt, Gesetze und Rechtssprüche stets Akte des Imperiums sind, hat die Verwaltungs-
tätigkeit nicht notwendig einen obrigkeitlichen Charakter. Wohl kann der Staat auch bei ihrer
Entwickelung Herrschaft ausüben, und durch die Möglichkeit, dieses Mittel zu benutzen,
unterscheidet sich die Verwaltung des Staates und der öffentlichen Verbände von der jedes
Privaten. Allein der Staat kann sich bei seiner Verwaltung auch aller Mittel bedienen, die
die Rechtsordnung den Bürgern zur Erreichung ihrer Zwecke darbietet, und, soweit er mit
diesen Mitteln verwaltet, was in weitem Umfange der Fall ist, wie bei Aufnahme von An-
leihen, Verpachtung, An- und Verkauf von Liegenschaften usw., hat seine Verwaltungstätigkeit
nichts Obrigkeitliches.
2. Alle Verwaltungstätigkeit ist gerichtet auf die Erledigung einzelner bestimmter Auf-
gaben. Darin stimmt sie mit der Justiz überein, während sie in Gegensatz tritt zur Gesetz-
gebung, die auf die Aufstellung abstrakter Normen gerichtet ist. Alle Verwaltungstätigkeit ist
ebenso wie die Justiz der Gesetzgebung untergeordnet, in der der höchste Staatswille zum Aus-
drucke kommt (vgl. oben S. 153, 170 des vorliegenden Bandes dieser Enzyklopädie); daher darf die
Verwaltung nichts anordnen oder tun, was wider die Gesetze ist. Von der Justiz aber unter-
scheidet die Verwaltungstätigkeit sich besonders durch ihr anders geartetes Verhältnis zum
Gesetze. Die Justiz erschöpft sich in der Anwendung von Gesetzen. Ihre spezifische Aufgabe
ist, festzustellen, was im einzelnen Falle nach den geltenden Gesetzen Rechtens istz sie ist eine
durchaus durch Gesetz gebundene Tätigkeit. Die Verwaltung dagegen ist eine solche nur teil-
weise. Auch sie hat es, und zwar mit dem Wachsen der Verwaltungsgesetzgebung in immer
steigendem Umfange, zu tun mit der Anwendung von Gesetzen (so bei der Erhebung von
Steuemn, der Militäraushebung, der Erteilung von gewerblichen Konzessionen u. a.), über diese
hinaus aber ist sie und muß sie, wenn sie die ihr gestellten Aufgaben lösen soll, eine freie,
durch Rücksichten der Zweckmäßigkeit und des öffentlichen Nutzens geleitete Tätigkeit sein, die
im Gesetze keine Richtschnur, sondern nur eine Schranke findet. Und auch, wo die Verwaltung
Gesetze anwendet, tut sie dieses regulär in anderer Weise und mit anderen Intentionen als die
Justiz. Während diese das Gesetz anwendet, indem sie erklärt, was nach ihm im gegebenen Falle
Rechtens ist, wendet die Verwaltung es an, indem sie es unmittelbar vollzieht, durch eigenes
Handeln seine Bestimmungen realisiert. Daher die Bezeichnung „vollziehende Gewalt“ für
die Verwaltung, die aber das Wesen dieser nur unvollkommen erfaßt, indem sie unbeachtet läßt,
daß die Verwaltung auch im weitem Umfange eine freie Tätigkeit ist, die mit Gesetzesvoll-
ziehung nichts zu tun hat. Besser läßt sich die Verwaltung, wenn man dieses eigene Handeln,
dieses aktive Eingreifen ins Auge faßt, das ihr auch da, wo sie nicht Gesetze zu vollziehen hat,