Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 205 
Begriff der Polizei. Polizeiordnungen hießen daher die zahlreichen von den Stadtobrigkeiten, 
von den Landesherren und der Reichsregierung im 16. und 17. Jahrhundert erlassenen Ordnungen, 
welche in buntem Durcheinander privatrechtliche Normen, unter Strafsanktion gestellte Gebote 
und Verbote und Anordnungen zur Hebung des Volkswohlstandes enthielten. „Erhaltung der 
christlichen Religion und guten Polizei“ galten als die Aufgaben der evangelischen Landesherren, 
nachdem diese durch die Reformation zum weltlichen Regimente auch das kirchliche bekommen 
hatten. Im 17. Jahrhundert änderte sich jedoch dieser Polizeibegriff; das Wort Polizei hört auf, 
die gesamte Staatstätigkeit zu bezeichnen. Zunächst trat der Polizei als der im Inneren des 
Staates entwickelten Tätigkeit die mit dem Aufblühen des internationalen Lebens notwendig 
werdende Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten, gewöhnlich „Politik“ genannt, gegen- 
über. Sodann sonderten sich von der Polizei das Heeres- und das Finanzwesen ab; für beide 
gelangten besondere staatliche Behörden und Einrichtungen zur Ausbildung, und letzteres wurde 
bald auch Gegenstand selbständiger wissenschaftlicher Behandlung (Kameralwissenschaft). 
Endlich wurde auch die Justiz als eine besondere Staatstätigkeit von der Polizei getrennt, und 
unter Polizei verstand man das, was wir heute innere Verwaltung nennen. Für Preußen 
zeigt den Abschluß dieser Entwickelung die von Friedrich Wilhelm I. erlassene Allgemeine 
Ordnung, die Verbesserung des Justizwesens betreffend, v. 2. 6. 1713 auf, in der 
Justiz, Militärsachen, Finanzsachen und Polizei als vier selbständige Staatstätigkeits- 
zweige geschieden werden. Den praktischen Vorgängen trug die Theorie alsbald Rechnung, 
auch sie bestimmte die Polizei als denjenigen Teil der inneren Staatstätigkeit, der nicht Justiz 
und nicht Militär- und Finanzverwaltung war, und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist 
dieser Begriff der Polizei dann in der Gesetzgebung wie in der reichen Literatur, die über die 
„Polizeiwissenschaft“ entstand, beibehalten worden. 
Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts trat jedoch abermals eine Verengerung des Polizei- 
begriffes ein. In der Polizei lag der Schwerpunkt der gesamten Staatstätigkeit. Ihr fiel die 
Lösung der zahlreichen neuen Aufgaben zu, die dem Staate entgegentraten, der aufhörte, sich auf 
die Aufrechterhaltung und den Schutz des Friedens und der Rechtsordnung zu beschränken, und 
in der Förderung und Hebung der geistigen und wirtschaftlichen Kultur des Volkes einen neuen 
Tätigkeitskreis vor sich sah. Darüber, wie diese Aufgaben zu lösen waren, gab es noch keine 
gesetzlichen Bestimmungen. Dem freien Ermessen der Regierung war der freieste Spielraum 
gewährt, und mit Zwang und Gewalt gegen den einzelnen konnte sie alles durchsetzen, was 
sie im Interesse des Ganzen für nützlich und zweckmäßig hielt. In der Polizei trat wie nirgends 
die Allmacht des absoluten Staates den Bürgern gegenüber. Gegen sie und ihre schranken- 
lose Ausübung richtete sich daher die wissenschaftliche Opposition, welche in der zweiten Hälfte 
des 18. Jahrhunderts einsetzte und vom Boden des Naturrechtes aus persönliche Freiheit und 
unbeschränkte Wirkungsfähigkeit des Individuums für ein unantastbares Menschenrecht erklärte, 
an dem die Wirksamkeit des Staates eine natürliche Schranke finde. Sie gelangte zu dem 
Postulate — welches schon von Kant ausgesprochen, dann aber besonders von Wilhelm 
v. Humboldt in seinen „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates 
zu bestimmen“ 1792 (publ. erst 1851, Ges. Werke, 7, 1 ff.) formuliert wurde —, daß der Staat 
sich beschränke auf den Rechtsschutz und die Wahrung der Sicherheit des Gemeinwesens, sich 
dagegen enthalte aller Sorge für den Wohlstand der Bürger. Dieses Postulat der Rechts- 
philosophie wurde allerdings nicht durchgeführt; die Förderung der Wohlfahrt blieb fernerhin 
eine Aufgabe des modernen Staates. Allein der von jenem Postulate umschlossene Gedanke, 
daß der Staat behufs Förderung des allgemeinen und individuellen Wohlstandes nicht Zwang 
ausüben dürfe, gelangte ziemlich allgemein zur Anerkennung. Man lehrte, daß der Staat die 
Freiheit des Individuums nur behufs Erreichung seiner wichtigsten Zwecke, des Rechtszweckes 
und des Sicherheitszweckes, mit Befehl und Zwang beschränken dürfe, nicht behufs Mehrung 
des Wohlstandes der Bürger. Und in Anwendung dieses Grundsatzes auf Polizei unterschied 
man dann zwischen „Sicherheitspolizei“ und „Wohlfahrtspolizei“, von denen nur jene mit Zwang 
arbeiten dürfe. Oder man ging weiter, erklärte, geleitet von der Vorstellung, daß Zwang 
unlöslich mit allem Polizeilichen verbunden sei, den Ausdruck „Wohlfahrts polizei“ für 
in sich widerspruchsvoll und ersetzte ihn durch Ausdrücke wie „Wohlfahrtspflege“ oder 
„Staatspflege“. Der Ausdruck „Sicherheits polizei“ erübrigte sich dann aber
	        
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