Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

206 Paul Schoen. 
mangels eines Gegensatzes; er umschloß alles, was überhaupt Polizei war, und so wurde 
statt seiner bald gewöhnlich schlechthin das Wort Polizei gebraucht. Diesem Sprachgebrauche 
hat sich auch Johann Stephan Pütter angeschlossen, der in seinen Inustitutiones juris 
publici Germanici (1) 1770 5P 331 die beiden Sätze formuliert: „Ea supremae potestatis 
pars, qdua exercetur cura avertendi mala futura dicitur jus politiae. Promovendae salutis 
cura proprie non est politiae.“" Pütters Autorität hat seiner Definition in der Literatur 
bald weite Verbreitung verschafft, und auch der preußische Gesetzgeber hat sich an sie 
angelehnt, als es galt, im Allgemeinen Landrechte von 1794 die Aufgabe der Polizei 
prinzipiell zu bestimmen. Denn es geschah dieses II, 17 § 10 mit den Worten: „Die nötigen 
Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung 
der dem Publico oder einzelnen Mitgliedemm desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist 
das Amt der Polizei.“ Dieser bekannte landrechtliche Satz, in dem zum ersten Male der 
Wirkungskreis der Polizei gesetzlich begrenzt ist, ist aber noch heute in Preußen, und zwar nicht 
nur im Geltungsbereiche des Allgemeinen Landrechtes, sondern im ganzen Staatsgebiete (Pr. 
O. E. 39, 399) geltendes Recht. Und daraus folgt, daß hier als polizeiliche Tätigkeit zweifellos 
nur solche gelten kann, die auf die Abwehr von Gefahren gerichtet ist. Allein es ist doch anderer- 
seits zu beachten, daß der landrechtliche Satz lediglich „das Amt"“, d. h. den Wirkungkreis der 
Polizei gesetzlich festlegen, nicht aber den Begriff der Polizei definieren will. Diesen setzt er 
vielmehr voraus. Daher kann auch für Preußen der Polizeibegriff nicht lediglich aus II, 17 
§l 10 des Allgemeinen Landrechtes entnommen und behauptet werden, das Wesen der Polizei 
sei lediglich durch den Zweck der sie ausmachenden Staatstätigkeit bestimmt (so Bornhak 141, 
Anschütz 12 und jetzt auch Loening im Hdwbch. 10642, anders früher im Verw. R.). Er muß und 
kann nur aus seiner Ausgestaltung in Theorie und Praxis geschöpft werden. Für diese aber 
ist bezeichnend, daß schon für die Ablösung des engeren Polizeibegriffes von dem weiteren alten 
in erster Linie nicht die Richtung der ihm unterfallenden Staatstätigkeiten, sondern die Vor- 
stellung veranlassend war, daß es sich hier um Tätigkeiten handele, bei denen Zwang geübt wird. 
Alle Schriftsteller aus der Zeit, in der die Entwickelung des engeren Polizeibegriffes sich voll- 
zog, die selbst an dieser Entwickelung beteiligt waren, dachten sich als etwas mit der Polizei 
Verbundenes Zwang und Gewalt. Und wenn einzelne von ihnen, wie besonders auch 
Pütter, in ihrer Definition des Polizeibegriffes das Zwangsmoment nicht aufgenommen 
haben, so hat dies allein darin seinen Grund, daß in der Praxis, unbekümmert um die Lehre 
der Rechtsphilosophie, doch auch zwecks Förderung der Wohlfahrt immer noch mancherlei Zwang 
angewendet wurde und man den Begriff daher besser lediglich durch Bestimmung des Zweckes 
der ihm unterfallenden Staatstätigkeiten zu erfassen glaubte, womit man ihn allerdings (val. 
weiter unten) auch nicht völlig traf. Auch im 19. Jahrhundert hat sich die Vorstellung er- 
halten, daß Zwang und Beschränkung mit allem Polizeilichen verbunden ist. Die Gesetzgebung, 
die sich in ihm häufiger mit der Ordnung polizeilicher Tätigkeiten befaßt hat, denkt bei dieser 
nur an mit Zwang verbundene Tätigkeit; nur diese gesetzlich zu normieren und mit Rechts- 
schranken zu umgeben, hat Sinn und Bedeutung. Und in der Theorie ist sogar wiederholt die 
Ansicht vertreten worden, daß überhaupt nicht der Zweck, sondern allein die Form, in der sie 
auftrete — mit Befehl und Zwang —, der als Polizei angesprochenen Tätigkeit charakteristisch 
sei (so scharf zuerst Bluntschli im Allgem. Staatsrecht [1) 1852, 457); und man hat die Polizei 
schlechthin als die mit Zwang verbundene Tätigkeit der Staatsgewalt auf dem Gebiete der 
inneren Verwaltung, oder ähnlich, jedenfalls als rein formellen Begriff definiert (Loening im 
Verw.R., G. Meyer [Meyer-Anschütz 644), Rosin 131, Thoma 4 ff., 38). Diese Definition 
ist nun allerdings nicht zutreffend. Auf dem Gebiete der inneren Verwaltung kommt Zwangs- 
anwendung vor, wo man doch nicht von Polizei spricht, so z. B. beim Schulzwange, bei der 
Beamtendisziplin, dem Zwange zur Führung von Ehrenämtern. Es fehlt hier eben das Moment, 
welches wie nach der Bestimmung des Allgemeinen Landrechtes auch nach der allgemeinen 
Anschauung zum Polizeibegriffe gehört, daß die Tätigkeit auf die Abwehr von Gefahren ge- 
richtet ist. Nicht zutreffend ist aber auch die andere Definition, welche es lediglich auf diese 
Richtung der Tätigkeit abstellt: die Errichtung von Uferschutzbauten und Feuerlöschanstalten 
z. B. sind zweifellos Maßregeln, die der Staat zur Gefahrenabwehr ergreift, und doch sieht 
man sie nicht als polizeiliche an, und zwar deshalb nicht, weil sie mit Beschränkung und
	        
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