212 Paul Schoen.
Untertanen ihren Rechtsschutz zu gewähren, so waren diese tatsächlich ohne solchen gegenüber
der Verwaltung. Allein dieser Zustand schien auf die Dauer unerträglich, und was das positive
Recht nicht bot, das suchte die Theorie den Untertanen zu erringen. Es entstand gegen den Aus-
gang des 18. Jahrhunderts eine neue Lehre vom Fiskus (zum folgenden O. Mayer 1,
74 ff., 142 ff. und Hatschek, Verw Arch. 7, 424 bes. 447 ff.), die in der Verwaltung auch eine zivil-
rechtliche Seite entdeckte und sie, wenigstens soweit es sich um diese handelte, für den ordentlichen.
Gerichten unterstellt erklärte. Hatte man bisher unter Fiskus die landesherrliche Kasse verstanden,
in welche die Gefälle flossen, die der Landesherr auf Grund von Hoheitsrechten (nicht von seinen
Kammer oder eigentümlichen Gütern) zog, oder auch die Behäörde, die die Rechte dieser Kasse
nach außen vertrat, so wurde jetzt gelehrt, daß der Fiskus juristische Person und Subjekt des
öffentlichen Vermögens ist. Er steht neben dem Landesherrn und seinen Behörden als den
Trägern der öffentlichen Gewalt oder, nachdem die Ansicht zum Durchbruche gelangt ist, daß
der Staat selbst eine, von der Person des Landesherrn getrennte, juristische Person ist —meben
dem Staate als herrschendem Rechtssubjekt. Wo es sich um vermögensrechtliche Verhältnisse
handelt, hat man es nur mit der Person Fiskus, wo hoheitliche in Frage stehen, nur mit der
anderen Person, dem herrschenden Staate zu tun. Oft findet man in einem Rechtsverhältnisse
aber auch beide Personen nebeneinander. Wird z. B. ein Beamter angestellt, so ist es der Herrscher
Staat, der ihn durch hoheitlichen Akt in seinen Dienst aufnimmt, der Fiskus dagegen, der sich
daneben vertragsmäßig zur Gehaltszahlung verpflichtet. Wird ein Grundstück für öffentliche
Zwecke enteignet, so ist es der Herrscher Staat, der durch hoheitlichen Akt das Eigentum ent-
zieht, der Fiskus aber, der aus diesem Hoheitsakte verpflichtet wird, den Enteigneten zu ent-
schädigen (sog. „gemischte Rechtsverhältnisse“). Dieser Fiskus aber, so deduzierte man weiter,
der lediglich Träger von Vermögensrechten ist, kann im Rechtsleben keine andere Stellung
haben als eine andere juristische Person des Privatrechtes; er untersteht daher besonders den
ordentlichen Gerichten und wird bezüglich seiner Rechte und Pflichten nach Zivilrecht beurteilt.
So kam man dazu, die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Untertanen und dem
Staate der Kognition der ordentlichen Gerichte zu unterwerfen, denn der, der den Untertanen
hier gegenüberstand, war nicht die regierende Obrigkeit, sondern der Fiskus. Der alte Satz,
daß die Gerichte unzuständig sind, über Hoheitsakte zu urteilen, blieb unangetastet; kein Ge-
richt galt für berechtigt, eine obrigkeitliche Verfügung für ungültig zu erklären; allein der Fiskus
konnte vor dem ordentlichen Gerichte verklagt und von ihm verurteilt werden, dem, der durch
eine solche Verfügung in seinen „wohlerworbenen Privatrechten“ verletzt war, Schadensersatz
zu leisten. Demnach führte die neue Fiskuslehre zwar nicht zu einem Rechtsschutze der Unter-
tanen gegen rechtswidrige Handlungen der Verwaltung, wie er ihnen von Reiches wegen zu-
gesichert war. Allein sie führte doch zu einer Sicherung der Untertanen gegen rücksichtslose Hand-
habung der öffentlichen Gewalt. Zwar konnte auch unter ihrer Herrschaft die Regierung in
die Rechte der Untertanen eingreifen, wie sie wollte, allein der Fiskus mußte bezahlen, und es
liegt auf der Hand, daß die Regierung diese Folge beachtete und nicht ohne schwerwiegenden
Grund die Rechte der Untertanen verletzte. Dem Polizeistaate war also, was seine Verwaltung
anlangt, zur Zeit seiner höchsten Vollendung charakteristisch, daß es fehlte an einem Verwaltungs-
rechte wie an einem Rechtsschutze der Untertanen gegen Eingriffe der Verwaltung in ihre
Freiheit und ihr Eigentum, daß es aber einen Schadensersatzanspruch gab gegen den Fiskus,
wenn der Staat durch solche Eingriffe wohlerworbene Privatrechte verletzt hatte. Ob der Ein-
griff ein gerechtfertigter war (Enteignung) oder nicht, machte keinen Unterschied.
III. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhob sich eine allgemeine Bewegung gegen
den Polizeistaat, die ihm als das zu erstrebende Ideal den Rechtsstaat gegenüberstellte.
Sie verstand dabei unter einem Rechtsstaate aber nicht, wie die Kantsche Naturrechtsschule, einen
Staat, der seinen Zweck lediglich in der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung findet, sonderm
einen Staat, der, wie der vorhandene, auch Wohlfahrts= und Kulturzwecke verfolgt, sie nur auf
andere Art wie der Polizeistaat verwirklicht. Die Bewegung war gerichtet gegen die an keine
rechtlichen Schranken gebundene Handhabung der öffentlichen Gewalt und die polizeiliche Be-
vormundung der Bürger. „Die Freiheit des Bürgers“, sagte v. Mohl, der das Wort „Rechts-
staat" in neuem Sinne zuerst in die Wissenschaft eingeführt hat (Die Polizeiwissenschaft nach
den Grundsätzen des Rechtsstaates (1.) Tüb. 1832 & 2) „ist bei dieser Lebensansicht der oberste