218 Paul Schoen.
Amtskreise bestellten Behörden mit gleicher sachlicher Kompetenz übergeordnet ist. Diese Über-
ordnung findet rechtlich ihren Ausdruck in dem der übergeordneten Behörde zustehenden Auf-
sichtsrechte, dessen Inhalt a) regelmäßig der folgende ist: Die übergeordnete Behörde kann den
untergeordneten Behörden sowohl für die formelle wie die materielle Erledigung ihrer Geschäfte
Anweisungen erteilen; sie hat Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den untergeordneten Behörden
zu entscheiden; sie hat über Beschwerden zu entscheiden, die gegen die Verfügungen dieser er-
hoben werden, und kann auch von sich aus Verfügungen dieser, die den Gesetzen oder dem öffent-
lichen Interesse zuwiderlaufen, ausheben. Dagegen kann sie, sofern sie nicht als Beschwerde-
instanz entscheidet oder eine besondere gesetzliche Ermächtigung erhalten hat (kgl. sächs. G. v. 21. 4.
1873 F5# 20), nicht in die gesetzliche Zuständigkeit der unteren Behörde eingreifen und an Stelle
derselben verfügen (Loening 54; a. A. Pr. OV, betr. die Behörden der Polizeiverwaltung
[E. 2, 424]; vgl. auch Thoma, Polizeibefehl 174 ff.). b) Beschränkter sind die Aufsichtsbefugnisse
der vorgesetzten Behörde gegenüber denjenigen Behörden, die hinsichtlich des Inhaltes ihrer
Entscheidungen selbständig sind und daher eine den Gerichten ähnliche Stellung haben. Diesen
kann die vorgesetzte Behörde keine Anweisungen für die Entscheidung der einzelnen Fälle erteilen,
wie sie auch die Anordnungen und Entscheidungen dieser Behörden nicht von sich aus, sondern
nur auf erhobene Beschwerde abändern und aufheben darf. Eine solche selbständigere Stellung
gegenüber der Aufsichtsbehörde ist besonders Kollegialbehörden eingeräumt, an denen das
Laienelement ehrenamtlich beteiligt ist, z. B. in Preußen den Provinzialräten, Bezirks-, Kreis-
ausschüssen, in Sachsen den Kreis-, Bezirksausschüssen, in Baden den Bezirksräten, in Hessen
den Provinzial- und Kreisausschüssen.
Weitergehende als bloße Aufsichtsbefugnisse dagegen hat die vorgesetzte Behörde der unter-
geordneten gegenüber da, wo diese lediglich in die Stellung eines ausführenden Organes jener
gesetzt ist, welche Stellung in Preußen die Gemeinde- und Gutsvorsteher zum Amtsvorsteher
für das Gebiet der lokalen Polizeiverwaltung haben. Hier hat die untergeordnete Behörde,
soweit ihre Organstellung reicht, überhaupt keine selbständigen Amtsbefugnisse; sie hat lediglich
Aufträge der vorgesetzten Behörde zu vollziehen, und diese kann stets die der untergeordneten
Behörde zugewiesenen Funktionen wieder an sich ziehen. Allein es handelt sich hier eigentlich
auch nicht mehr um das Verhältnis der Über= und Unterordnung zweier Behörden, denn die
untergeordnete Behörde entbehrt, soweit sie als Organ der anderen fungiert, überhaupt des
behördlichen Charakters (vgl. oben zu II. 2 dieses 5); die untersten Polizei behörden sind
in Preußen die Amtsvorsteher und nicht die Gemeinde- und Gutsvorsteher.
VI. UÜber die Organisationsgewalt, die Befugnis, Behörden zu errichten,
zu organisieren und aufzuheben, vgl. den staatsrechtlichen Teil dieser Enzyklopädie (oben S. 163).
VII. Das Verfahren, in dem die Verwaltungsbehörden ihre Aufgaben erledigen,
ist entweder ein formloses oder ein formelles. Jenes dann, wenn es durch keine be-
sonderen Vorschriften geregelt und den Behörden damit überlassen ist, in der ihnen jeweilig
geeignet erscheinenden Weise zu prozedieren. Dieses überall da, wo es an Formvorschriften ge-
bunden ist. Dabei können die Formvorschriften wieder eine verschiedene Bedeutung haben. Sie
können als Dienstanweisungen oder als Rechtsvorschriften erlassen sein und demgemäß entweder
nur inteme Bedeutung für die Behörden haben, so daß ihre Außerachtlassung nur disziplinare
Folgen zeitigt, oder auch den Untertanen ein Recht darauf geben, daß nach Maßgabe dieser
Vorschriften ihnen gegenüber verfahren wird. Die positiven Bestimmungen über das Verwaltungs-
verfahren sind bei ihrer Mannigfaltigkeit und prinzipiellen Verschiedeuheit einer zusammen--
fassenden Behandlung überhaupt unzugänglich. Nur in Baden hat eine allgemeine Regelung
des Verfahrens in Verwaltungssachen stattgefunden (Großh V. v. 31. 8. 1884). Im übrigen sind
von den Einzelstaaten wie vom Reiche nur eine Menge von Spezialvorschriften erlassen, die bald
nur die Erledigung einzelner Angelegenheiten, bald nur das Verfahren von bestimmten Be-
hörden ordnen.
Die einzelnen Angelegenheiten, für deren Erledigung mit rechtlicher Wirkung nach außen
besondere Formen vorgeschrieben sind, gehören den verschiedensten Verwaltungsgebieten an.
Gewöhnlich sind es solche, die eine Entscheidung über widerstreitende Interessen und Rechte er-
sordern, wie die Konzessionierung von gewerblichen Anlagen, Erteilung von Baukonsensen,
Enteignungen u. a. Durch das besonders geordnete Verfahren soll den Beteiligten die Möglich-