224 Paul Schoen.
mit Einführung des stehenden Heeres ständig für bestimmte Gebiete ernannt wurden, um in
diesen, neben dem lediglich im Interesse des Heeres und dessen Organisation tätigen Kriegs-
kommissar, die Verpflegung und Einquartierung der Truppen zu leiten und dabei insbesondere
auch die Interessen des Landes und der Einwohner wahrzunehmen. Auch für dieses Amt
bildeten die Kreise gewöhnlich die gegebenen Amtsbezirke, und da einerseits die Stände für den
Unterhalt der Truppen aufzukommen hatten, andererseits es aber zweckmäßig erschien, mit
diesem Amte Personen zu betrauen, die mit den örtlichen Verhältnissen vertraut waren, so
ergab es sich von selbst, daß der Kurfürst aus den Ständen des betreffenden Bezirkes den Land-
kommissar (später Kreiskommissar genannt) erwählte. Und es ergab sich weiter von selbst, daß
er regelmäßig den Kreisdirektor mit dem Landkommissariat betraute. — Lediglich praktische
Momente haben sonach zur Vereinigung der beiden rechtlich durchaus verschiedenen ÄAmter
geführt, die sich dann auch lediglich im Wege der Praxis, ohne gesetzliche Regelung, vollzogen hat.
Am Ausgange des 17. Jahrhunderts war sie überall vorhanden, und 1701 wurde den Trägern
der vereinigten Amter auf ihre Bitte vom König Friedrich I. (Restkr. v. 27. 9.) der Titel „Landrat"
beigelegt 1. Die Besetzung der Landratsstellen erfolgte in der Weise, daß die ständische Wahl
des Kreisdirektors und die landesherrliche Ernennung des Kommissars kombiniert wurden:
die Ritterschaft schlug aus ihrer Mitte einen vor, und dieser wurde dann vom Landesherrn er-
nannt. Übrigens waren schon längere Zeit vor der allgemeinen Verschmelzung beider Amter
die Amtsbefugnisse der Landkommissare erheblich erweitert worden. Die Kurfürsten verpflichteten
sie, für das Aufkommen der Kriegskontribution zu sorgen, und benutzten sie, um ihr Regiment
auf dem platten Lande, wo es außerhalb der Domänen nur einen schwachen Ausdruck fand,
wieder mehr zur Geltung zu bringen. Sie übertrugen ihnen daher polizeiliche Funktionen, die
Aussicht über die gutsherrliche Verwaltung und unterstellten ihnen die Landreiter; die Stände
setzten dem keinen Widerstand entgegen, weil die Landkommissare aus ihrer Mitte genommen
wurde. Bald wurde die Kompetenz der Landräte jedoch auch auf die Domänenbezirke aus-
gedehnt. Auch in ihnen geriet die alte Amtewerfassung in Verfall seit dem Übergange des
Staates vom System der Selbstbewirtschaftung zu dem der Verpachtung (Mitte des 17. Jahr-
hunderts), der durch die Notwendigkeit veranlaßt war, möglichst hohe Einnahmen aus den
Domänen für die Bedürfnisse des stehenden Heeres zu erzielen. Die Domänenpächter (Amt--,
Oberamtmänner, Amts-, Kammerräte) konnten sich, weil sie vor alleim auf Herauswirtschaftung.
der hohen Pacht sehen mußten, um Justiz und Polizei, die ihnen mit der Domäne verpachtet
wurde, in der Regel wenig kümmern und ließen als Beamte viel zu wünschen übrig. Die Justiz
wurde ihnen daher bald ganz genommen, für die Verwaltung aber wurden sie der Aufsicht der
Landräte unterstellt. — Mit den Städten hatte das Landratsamt zunächst nichts zu tun.
Aber auch für diese schufen die Kommissariate sich untere Kontrollorgane. Bei der Anderung
des Besteuerungsmodus in den Städten (oben S. 222) wurden landesherrliche Kommissare
zur Kontrolle der städtischen Akziseverwaltung als „Comissarü loci“ bestellt, deren jedem eine
Anzahl von Städten überwiesen wurde, die er regelmäßig bereisen sollte, um an Ort und Stelle
die Verwaltung zu inspizieren.
Eine einschneidende Umgestaltung erfuhr die Behördenorganisation, die sich im 17. Jahr-
hundert entwickelt hatte, am Anfange des 18. Jahrhunderts durch Friedrich Wilhelm I., den
die Geschichtsschreibung unserer Tage in Erkennung der Bedeutung seiner Verwaltungsreformen
für die ganze weitere Entwickelung den „Schöpfer der neuen deutschen Verwaltung“ und den
„größten inneren König" Preußens genannt hat. Diese Umgestaltung lag in der Vereinigung
der Domänen= und Kommissariatsbehörden in der Zentral- und Provinzialinstanz, die geleitet
war von der Idee, die dauernden Kompetenzstreitigkeiten zwischen den beiden Behördenreihen
zu beseitigen und die ganze Verwaltung mit dem modernen eifernden Geiste der Kommissariats-
behörden zu erfüllen. Durch die Instruktion vom 20. 12. 1722, das eigenste Werk des Königs,
verfügte dieser die Vereinigung des Generalkriegskommissariats und Generalfinanzdirektoriums,
in das er bereits 1713 die Geheime Hofkammer umgewandelt hatte, zum General-Ober-
Finanz-, -Kriegs-- und -Domänendirektorium, schlechthin General-
1 Uber die ältere Bedeutung dieses Titels, der bis in die erste Hälfte des 16. Jahrh. zurück-
reicht, s. Gelpke a. a. O. 230 ff.