Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 19 
sammenwirken zur Erreichung sozialer Zwecke, — auch ein reguliertes Zusammensein, 
aber reguliert nicht durch Zwangsgesetze, hinter denen Strafe und Exekution stcht, sondem 
durch „Konventionalregeln“ (Stammley), welche mit ihren Vorschriften darüber, was recht- 
gläubig, sittlich, ehrenhaft, anständig, schicklich, schön ist, nur denjenigen binden, der und solange 
er sich ihnen freiwillig unterwirft. Das ist die vom Walten von Herrschaft und Zwang nicht 
berührte, sagen wir: die anarchische Sphäre des menschlichen Gemeinlebens; in sie reicht 
Staat und Staatsgewalt nicht hinein. Ihr steht gegenüber die Sphäre des sozialen Zwanges, 
die koaktive Sphäre, welche ihrerseits ganz und ausschließlich vom Staate ausgefüllt wird, 
mit dem Staatsleben identisch ist. 
Die koaktive Sphäre des Gemeinlebens ist diejenige, welche rechtlich, d. h. durch 
Rechtsnormen geordnet ist. Denn Rechtsnorm ist gleichbedeutend mit Zwangsgesetz; alle 
Rechtsordnung ist und will sein Zwangsordnung: Ordnung der zur Erreichung der sozialen Zwecke 
erforderlichen Freiheitsbeschränkungen. Hiermit ist denn aber auch das Verhältnis der Staats- 
gewalt zum Recht berührt und klargestellt: weil die Rechtsordnung einen Komplex von Zwangs- 
geboten darstellt, Zwang aber, in concreto wie in abstracto, nur vom Staate ausgehen kann, 
muß alle Rechtsordnung Staatsordnung, Staatswille sein. Alles Recht ist, wenn man auf 
die Herkunft und Entstehung sieht, „Staatsrecht“ im weitesten Sinne des Wortes; es ist des 
Staates Wille, sei es, daß dieser Wille unmittelbar oder mittelbar vom Staate ausgeht, aus- 
drücklich (Gesetz) oder stillschweigend (Gewohnheitsrecht, „statutum tacitum“) erklärt ist. So 
folgt aus der Konzentration aller Zwangsgewalt im Staate mit Notwendigkeit die ausschließ- 
liche Befugnis und Fähigkeit der Staatsgewalt, Recht zu setzen: das Rechtsetzungs- 
monopol des modernen Staates. 
Die nähere Begründung dieses Satzes muß der allgemeinen Staats= und Rechtslehre 
überlassen bleiben. 
Der Gefahr eines Mißverständnisses ist hier noch vorzubeugen. Mit dem Satze: nur 
der Staat herrscht, er allein kann zwingen, niemand außer ihm kann infolgedessen Recht setzen, 
ist nicht behauptet und soll nicht gesagt sein, daß die Staatspersönlichkeit, in Gestalt ihrer Organe, 
es immer selbst sein muß, die in dem ihr unterstellten Gemeinleben befehlend und zwingend 
auftritt. Aber wer immer solches tut, kann dies nur, weil und soweit der Staat ihn dazu er- 
mächtigt, ihm seinen Arm, seine Herrschermacht geliehen hat. Die volle, im modernen Staate 
verkörperte Entwicklung und Entfaltung der Staatsgewalt bedeutet nicht Vernichtung alles 
außerstaatlichen Herrscherrechts, wohl aber alles außerstaatlichen eigenen (ursprünglichen) 
Herrscherrechts. Das Dasein gewalthabender, mit Zwangsbefugnissen ausgestatteter Ver- 
bände, Korporationen usw., die nicht Abteilungen des Staates, sondern eigene, vom Staate 
verschiedene, ihm gegenüber selbständige Persönlichkeiten darstellen, ist, wie bereits vorhin, 
unter Bezugnahme auf die Finanzhoheit der Gemeinden und die analogen, sowie anderweiten 
Zwangsrechte der Kirchen und öffentlichen Genossenschaften, angeführt, mit dem Wesen der 
Staatsgewalt keineswegs unvereinbar, — wofern nur diese eigenen Verbände und unter- 
geordneten Gewalthaber nicht als Träger eigenen Herrschaftsrechts auftreten, die Rolle 
von Staaten im Staate spielen wollen. Herrschaft und Zwang eignen als ius proprium nur 
der Staatsgewalt; in der Hand jedes anderen, vom Staate verschiedenen und ihm an sich 
untergeordneten Subjekts ist das Befehlenkönnen, das Zwangsvermögen ein ius delegatum, 
ein Hoheitsrecht, welches der Inhaber, bildlich gesprochen, vom Staate zu Lehn trägt. Alle 
Gewalthaber innerhalb des modemen Staates sind Untertanen und Delegatare des Staates. 
II. Eigenschaften der Staatsgewalt. — Die Eigenschaft der Staatsgewalt als einer 
durchaus ursprünglichen, nicht weiter ableitbaren, nicht lehnrührigen“ Herrschermacht 
wurde soeben besprochen. 
Weitere Attribute der Staatsgewalt sind Einheit und Unteilbarkeit. Die 
Staatsgewalt ist „une et indivisible“. 
Im Grunde ist hier mit zwei Worten Eines gesagt; es ist eine Eigenschaft der Staats- 
gewalt bezeichnet, welche das Wesen des Subjekts der letzteren unmittelbar zum Ausdruck 
bringt. Subjekt der Staatsgewalt ist der Staat selbst (s. unten III). Der Staat verhält sich 
zur Staatsgewalt wie der Mensch zu seinem Willen. Ist nun — wie oben ausgeführt — der 
Staat eine Einheit, und zwar eine Personeneinheit, ein mit Persönlichkeit begabtes Wesen,
	        
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