Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

226 Paul Schoen. 
stehende Kompetenz war eine äußerst geringe (z. B. Disziplinarsachen der Verwaltungsbeamten 
ALR. II, 10 88 99 - 101); mit wichtigeren Sachen wurde er nur befaßt, wenn der König sie ihm 
überwies oder einzelne Minister eine gemeinsame Beratung für notwendig hielten. 
In der Provinzialinstanz vereinigte Friedrich Wilhelm I. die Amtskammern und die 
Kommissariate zu Kriegs= und Domänenkammern t uerst in der Kurmark; Instr. 
26. 1. 1723). Dieses waren kollegialische, auch für den inneren Geschäftsbetrieb nicht weiter 
in Abteilungen gegliederte Behörden, dic alle Sachen durch Beschlußfassung in pleno zu er- 
ledigen hatten. Sie bestanden aus einem Präsidenten, der, wenn er gleichzeitig mehreren 
Kammern vorstand, auch Oberpräsident hieß (Stein war Oberpräsident der westfälischen 
Kammern), einem oder mehreren Direktoren, mehreren Räten und Assessoren. Ihre Kom- 
petenz umfaßte, wie die des Generaldirektoriums, Finanzen und Inneres. Sie waren eben 
die provinziellen Finanz- und Polizeibehörden; von den Finanzangelegenheiten waren ihnen 
allerdings die Akzise- und Zollsachen zeitweise entzogen und besonderen Mzzisedirektionen über- 
tragen, und von der inneren Verwaltung waren sie insoweit ausgeschlossen, als die alten 
„Regierungen“ noch Verwaltungskompetenzen hatten. Allein die Kriegs-- und Domänen= 
kammern waren nicht nur Verwaltungsbehörden, sie waren auch an der Rechtsprechung beteiliat; 
ihnen waren alle Zivilprozesse überwiesen, bei denen irgendwie das Interesse des Fiskus in 
Betracht kam. Sie übten die sog. Kammerzjustiz aus, der nicht ohne Grund großes Miß- 
trauen entgegengebracht wurde als einer Rechtsprechung in Sachen des Fiskus durch abhängige 
Verwaltungsbehörden. Mit der modernen Verwaltungsgerichtsbarkeit hatte diese Kammer- 
justiz nichts zu tun; sie war weder eine Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte, noch eine 
Rechtsprechung in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten. Bei der Justizreform von 1782 wurden 
für Ausübung der Kammerjustiz bei den Kammem allerdings besondere Kammerjustizdeputationen, 
in denen Justiziarien (zu Ratsstellen bei den Obergerichten qualifizierte Personen) saßen, 
eingerichtet; allein auch diese hatten nicht die Stellung unabhängiger Gerichte, indem sie meist 
nur ein Gutachten zu erstatten hatten, auf welches die Kammer entschied. Die Kriegs- und 
Domänenkammem wurden in allen später erworbenen Gebieten eingeführt; die Kammerzustiz- 
deputationen wurden jedoch in den Jahren 1797—1808 aufgehoben und die vor sie gehörigen 
Sachen den ordentlichen Gerichten überwiesen. 
Was die unteren Verwaltungsbehörden anlangt, so wurde zunächst das Landrats- 
amt von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. (Instr. f. d. Landräte der Kurmark 1. 8. 1766) 
immer mehr als Staatsamt ausgebaut. Den Landräten wurden dauernd weitere staatliche 
Geschäfte, namentlich auf dem Gebiete der Polizeiverwaltung, übertragen; sie wurden schließ- 
lich angewiesen, alle Aufträge der Kriegs- und Domänenkammemn zu vollziehen, und wurden 
damit zu Trägem der gesamten Staatsverwaltung im Kreise. Die Kompetenzen, welche aus der 
ständischen Wurzel ihres Amtes entsprangen, die Abhaltung der Kreistage und die Besorgung 
der kreisständischen Geschäfte, traten bei dem schwachen kommunalen Charakter des damaligen 
Kreisverbandes gegenüber den zahlreichen staatlichen Funktionen immer mehr zurück. Gleich- 
zeitig wurde das Landratsamt in alle Teile des Staates (ausgenommen Ostfriesland), auch in 
die Gebiete westlich der Weser, in denen es keinen großen Grundbesitz gab, eingeführt. Auch 
das Amt der Commissarii loci wurde durch Übertragung immer weiterer Aufsichts- 
sfunktionen über die Städte ausgebaut. Aus den Kontrolleuren der städtischen Akzisebeamten 
wurden so die „Steuerräte“, die allgemeinen Organe der Kriegs- und Domänenkammer 
für die Städte, deren Kontrolle schließlich die ganze Stadtverwaltung unterstellt war. In der 
Lokalinstanz auf dem flachen Lande wurde die Beseitigung der Privatgerichtsbarkeit angestrebt, 
jedoch nur in den Domänenbezirken durchgeführt. Es wurden für größere, meist mehrere 
Domänen umfassende Bezirke Domänenjustizämter gebildet und diese mit einem staatlich er- 
nannten Justizamtmann besetzt. Für die Rittergutsbezirke war bei dem Widerstande der Guts- 
herren, die in dem Verzichte auf das eigene Gericht die Aufgabe eines wichtigen Rechtes sahen, 
ähnliches nicht zu erreichen; es wurde jedoch wenigstens dafür gesorgt, daß die Ausübung der 
der Gutsherrschaft zustehenden Gerichtsbarkeit fermerhin nur durch staatlich geprüfte Personen 
erfolgte (ALR. II. 17 #§ 73 ff.). 
III. Im Gegensatze zu dieser brandenburg-preußischen Entwicklung erfuhr in den deutschen 
Mittel- und Kleinstaaten die überkommene Behördenorganisation im 17. und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.