Deutsches Verwaltungsrecht. 227
18. Jahrhundert nirgends eine prinzipielle Umgestaltung. Wohl entstanden auch in ihnen neue
Zentralbehörden wie die oben erwähnten Geheimen Kabinette oder in Bahern die Ober—
landesregierung (1779 zur Entlastung des Hofrats und der Hofkammer), und auch neue Mittel-
behörden wurden häufig errichtet, allein nirgends im Wege einer planmäßigen Gesetzgebung.
Dem hervortretenden Bedürfnisse, einzelne Verwaltungszweige mehr zu pflegen, kam man
gewöhnlich durch Errichtung besonderer Kollegien, Deputationen und Kommissionen entgegen
und vermehrte so willkürlich die Zahl der Behörden. Die Mängel, die die preußische Organi-
sation aufwies, schwerfällige Aktion der Zentral- und Mittelbehörden, Unübersichtlichkeit des
Systems und unklare Zuständigkeitsverhältnisse, waren hier meist in noch höherem Maße
vorhanden. Justiz und Verwaltung waren nirgends prinzipiell geschieden, und bei der Finanz-
verwaltung konkurrierten überdies vielfach noch die Stände.
§ 7. Die Entwickelung vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
I. Am Anfange des 19. Jahrhunderts erfuhr die Verwaltungsorganisation Preußens
wie die der meisten Mittelstaaten eine weitgehende Umgestaltung, die mehr oder weniger unter
französischem Einflusse stand. In Frankreich hatte die Revolution die alte Verwaltungs-
organisotion in radikalster Weise beseitigt, und die napoleonische Gesetzgebung des Jahres 1800
(Ges. v. 28 Pluviöse VIII, 18. 2. 1800) hatte dann die neuen Grundlagen für die französische
Staatsverwaltung gelegt, auf denen diese noch heute im wesentlichen beruht. Das Staatsgebiet
wurde neu eingeteilt, ein einfaches, übersichtliches Behördensystem geschaffen, die Zentralisation
der Verwaltung soweit als möglich verwirklicht, die schwerfälligen Kollegien wurden überall
durch von der höheren Instanz unbedingt abhängige Einzelbeamte ersetzt. Wegen seiner Ein-
fachheit wie wegen der glänzenden Resultate, die es in Frankreich zu verzeichnen hatte, reizte
dieses System zur Nachahmung. Daß die von Napoleon in Deutschland gegründeten Vasallen-
staaten es übernahmen, war selbstverständlich. Aber auch die süddeutschen Rhein-
bundstaaten fanden in ihm einen geeigneten Ersatz für ihre unbrauchbar gewordene
Behördenorganisation und besonders ein Mittel, ihre zahlreichen Neuerwerbungen mit dem
Stammlande zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen. Auch in den deutschen Süd-
staaten wurde das Staatsgebiet für die Verwaltung neu eingeteilt, und zwar nach geographischen
und statistischen Gesichtspunkten in möglichst gleiche „Kreise“, ohne Rücksicht auf die historische
Zusammengehörigkeit der einzelnen Landesteile; nach französischem Vorbilde wurden die neu-
gebildeten Kreise nach den Flüssen benannt. In der Zentrale wurden prinzipiell die kollegia-
lischen Behörden beseitigt. An die Spitze des Staates traten mehrere bureaumäßig organisierte
Ministerien, deren jedem ein oder mehrere Verwaltungszweige zur Verwaltung für das ganze
Staatsgebiet übertragen wurden (Realsystem; oben S. 225). Aus den Ministern und besonders
dazu berufenen Staatsräten wurde als weiteres Zentralorgan ein Staatsrat gebildet, der teils
beratende, teils beschließende, besonders verwaltungsgerichtliche Kompetenzen erhielt. In der
Mittelinstanz wurden die zahlreichen Sonderbehörden aufgehoben, für den Geschäftsgang der
neuerrichteten Kreisbehörden (Generalkreiskommissariate und Kreisfinanzdirektionen in Bayern,
Kreisdirektionen in Baden, Kreishauptmänner in Württemberg) aber das Bureausystem schlecht-
hin oder doch als die Regel anerkannt, so daß eine kollegialische Beschlußfassung bei ihnen nur
ausnahmsweise stattfand. Verwaltung und Justiz wurden in der Zentrale wie in der Mittel-
instanz getrennt. Auch in der Lokalinstanz wurde das Behördensystem durch Aufhebung zahl-
reicher Amter und Verbindung ihrer Kompetenzen vereinfacht; zu einer Trennung der Justiz
von der Verwaltung kam es hier jedoch nicht; auch die grundherrliche Gerichtsbarkeit blieb be-
stehen; sie ist ebenso wie in anderen deutschen Staaten auch in den Südstaaten erst um die
Mittec des 19. Jahrhunderts aufgehoben worden (Loening 4882). Neu organisiert wurde
überall das polizeiliche Exekutivpersonal; nach französischem Muster wurde in jedem Staate
eine einheitliche, militärisch organisierte und bewaffnete Gendarmerie geschaffen (Loening #560).
In Preußen erfolgte die Reorganisation der Verwaltung durch die sog. Stein-
Hardenbergische Reformgesetzgebung. Der geistige Träger dieser Gesetzgebung, so-
weit sie Organisationsgesetzgebung war und hier interessiert — soweit sie Wirtschaftsgesetzgebung
war und vorzüglich auf Hardenbergs Initiative beruhte, kommt sie hier nicht in Betracht —, war
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