Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

20 G. Anschütz. 
so muß dieser Personeneinheit, wie bei allen anderen physischen und juristischen Personen, die 
Einheit des Willens entsprechen. Eine Persönlichkeit kann nicht zwei Willen haben; der Wille 
des wollenden Subjekts ist eine Größe, welche sich nicht teilen läßt, ohne die Einheit des Sub- 
jekts selbst auzuheben. Eine Zerspaltung der Staatsgewalt in mehrere Teile würde die Zer- 
fällung des Staates in ebenso viele selbständige, neue Staatswesen zur Voraussetzung wie zur 
Wirkung haben. 
Das Prinzip der Unteilbarkeit der Staatsgewalt wird nicht widerlegt durch die Er- 
scheinung des Bundesstaatcs, welche zeigt, wie die einem modemen Einheitsstaate 
normalerweise obliegende Gesamtleistung, der in diesem Sinne volle staatliche Wirkungs- 
kreis planmäßig unter die Zentralgewalt und die Einzelstaatsgewalten aufgeteilt ist. Über 
die einschlägigen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung ist unten, im Kapitel „Wesen 
und Inhalt der Reichsgewalt“, des näheren zu reden; für den gegenwärtigen Zusammenhang 
genügt cs, folgendes Moment heworzuheben: was in Deutschland an „Angelegenheiten“ 
(Art. 4 der Reichsverfassung) einerseits der Reichsgewalt zugeteilt, andererseits für die Einzel- 
staatsgewalten zurückbehalten ist, ist nicht die Substanz einer deutschen Gesamtstaatsgewalt 
— eine solche gibt cs nicht —, sondern es ist der Inbegriff aller Kompetenzen und Aufgaben, 
welche, wenn Deutschland (Reich mitsamt den 25 Einzelstaaten) ein Einheitsstaat wäre, diesem 
Einheitsstaat obliegen würden. Die Kompetenzverteilung im deutschen wie in jedem anderen 
Bundesstaate läßt sich also nicht als Beweis anführen für die Möglichkeit der Tatsache, daß eine 
und dieselbe Staatsgewalt zerteilt werden und pro partibus divisis sechsundzwanzig Inhabern 
zustehen könne. Sondern in dieser Verteilung ist zu erblicken die durch die Reichsverfassung 
bewirkte Zumessung eines bestimmten Inhalts und Wirkungskreises an sechsundzwanzig ver- 
schiedene Staatsgewalten, von denen keine ein — begriffsunmögliches — Fragment einer 
Staatsgewalt, sondern jede eine ganze, einheitliche und unteilbare, freilich auf einen bestimmten 
Wirkungzkreis beschränkte Staatsgewalt darstellt. Zwischen Reich und Einzelstaaten ist daher 
nicht die Staatsgewalt, sondern die Gesamtheit der Staatsaufgaben (der Staatszweck) geteilt. 
„Geteilt sind die Objekte, auf welche die Staatstätigkeit gerichtet ist, nicht die subjektive Tätig- 
keit, die sich auf diese Objekte bezieht.“ (Jellinek, Staatsl. 489.) 
Ebensowenig wie die vorstehend geschilderte bundesstaatliche Kompetenzverteilung zwischen 
Bundes= und Einzelstaatsgewalt kann die sog. konstitutionelle Gewaltenteilung 
innerhalb eines und desselben Staatswesens dem Satze von der Unteilbarkeit der Staatsgewalt 
entgegengehalten oder umgekehrt, wie oft geschieht, mit dem Hinweis auf die Unteilbarkeit der 
Staatsgewalt bekämpft werden. Gewaltenteilung in diesem Sinne bedeutet Verteilung der 
drei in der Staatsgewalt enthaltenen Grundfunktionen (Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung) 
an drei selbständige, gegenseitig unabhängige, einander nicht hierarchisch über- und unter- 
geordnete Staatsorgane bzw. Organgruppen. TDurch das Prinzip der Gewaltenteilung soll 
nicht die eine und unteilbare Staatsgewalt zerstückt, soll keineswegs die Gründung von drei 
Staaten im Staate unternommen, sondemn es soll der Staatsgewalt eine gewisse organisatorische 
Gestaltung gegeben werden, welche im allgemeinen dem Gedanken der Arbeitsteilung Rechnung 
trägt, im besonderen aber zum Zweck hat, eine Beteiligung des Volkes bei der Bildung des gesetz- 
gebenden Staatswillens herbeizuführen, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gesetzmäßig- 
keit der Verwaltung zu gewährleisten. Das Nähere s. unten § 43, 44. Wer die Gewaltenteilung 
in dem vorgestellten Sinne für unvereinbar hält mit der Einheit und Unteilbarkeit der Staats- 
gewalt, müßte behaupten, daß diese Einheit nur dann gewahrt ist, wenn alle Funktionen der 
Staatsgewalt in einem Universalorgan konzentriert und vereinigt sind. Eine dahingehende 
Behauptung würde aber nicht sowohl, wie Haenel (Staatsrecht 1 93) mit Recht bemerkt, 
in unauflöslichem Widerspruch mit den positivrechtlichen Verfassungen stehen; — es ließen sich 
ihr auch die ebenso bekannten wie unbestreitbaren Tatsachen entgegenhalten, daß durch die Mehr- 
heit seiner Organe und Glieder die Einheit des Lebewesens nicht aufgehoben wird, daß die 
Vielfältigkeit der Räder und Hebel die Einheit der Maschine nicht alteriert. — 
Was sonst noch der Staatsgewalt an Eigenschaften zugeschrieben zu werden pflegt, läuft 
bisweilen auf leere Redensarten, nicht selten aber auch auf Unrichtigkeiten hinaus. Ersteres 
gilt von der „Heiligkeit“ und „Ewigkeit", letzteres von der „Unverantwortlichkeit“ der Staats- 
gewalt (vgl. z. B. Maurenbrecher, Staatsr. & 30). Unverantwortlich ist die Staatsgewalt
	        
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