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so muß dieser Personeneinheit, wie bei allen anderen physischen und juristischen Personen, die
Einheit des Willens entsprechen. Eine Persönlichkeit kann nicht zwei Willen haben; der Wille
des wollenden Subjekts ist eine Größe, welche sich nicht teilen läßt, ohne die Einheit des Sub-
jekts selbst auzuheben. Eine Zerspaltung der Staatsgewalt in mehrere Teile würde die Zer-
fällung des Staates in ebenso viele selbständige, neue Staatswesen zur Voraussetzung wie zur
Wirkung haben.
Das Prinzip der Unteilbarkeit der Staatsgewalt wird nicht widerlegt durch die Er-
scheinung des Bundesstaatcs, welche zeigt, wie die einem modemen Einheitsstaate
normalerweise obliegende Gesamtleistung, der in diesem Sinne volle staatliche Wirkungs-
kreis planmäßig unter die Zentralgewalt und die Einzelstaatsgewalten aufgeteilt ist. Über
die einschlägigen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung ist unten, im Kapitel „Wesen
und Inhalt der Reichsgewalt“, des näheren zu reden; für den gegenwärtigen Zusammenhang
genügt cs, folgendes Moment heworzuheben: was in Deutschland an „Angelegenheiten“
(Art. 4 der Reichsverfassung) einerseits der Reichsgewalt zugeteilt, andererseits für die Einzel-
staatsgewalten zurückbehalten ist, ist nicht die Substanz einer deutschen Gesamtstaatsgewalt
— eine solche gibt cs nicht —, sondern es ist der Inbegriff aller Kompetenzen und Aufgaben,
welche, wenn Deutschland (Reich mitsamt den 25 Einzelstaaten) ein Einheitsstaat wäre, diesem
Einheitsstaat obliegen würden. Die Kompetenzverteilung im deutschen wie in jedem anderen
Bundesstaate läßt sich also nicht als Beweis anführen für die Möglichkeit der Tatsache, daß eine
und dieselbe Staatsgewalt zerteilt werden und pro partibus divisis sechsundzwanzig Inhabern
zustehen könne. Sondern in dieser Verteilung ist zu erblicken die durch die Reichsverfassung
bewirkte Zumessung eines bestimmten Inhalts und Wirkungskreises an sechsundzwanzig ver-
schiedene Staatsgewalten, von denen keine ein — begriffsunmögliches — Fragment einer
Staatsgewalt, sondern jede eine ganze, einheitliche und unteilbare, freilich auf einen bestimmten
Wirkungzkreis beschränkte Staatsgewalt darstellt. Zwischen Reich und Einzelstaaten ist daher
nicht die Staatsgewalt, sondern die Gesamtheit der Staatsaufgaben (der Staatszweck) geteilt.
„Geteilt sind die Objekte, auf welche die Staatstätigkeit gerichtet ist, nicht die subjektive Tätig-
keit, die sich auf diese Objekte bezieht.“ (Jellinek, Staatsl. 489.)
Ebensowenig wie die vorstehend geschilderte bundesstaatliche Kompetenzverteilung zwischen
Bundes= und Einzelstaatsgewalt kann die sog. konstitutionelle Gewaltenteilung
innerhalb eines und desselben Staatswesens dem Satze von der Unteilbarkeit der Staatsgewalt
entgegengehalten oder umgekehrt, wie oft geschieht, mit dem Hinweis auf die Unteilbarkeit der
Staatsgewalt bekämpft werden. Gewaltenteilung in diesem Sinne bedeutet Verteilung der
drei in der Staatsgewalt enthaltenen Grundfunktionen (Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung)
an drei selbständige, gegenseitig unabhängige, einander nicht hierarchisch über- und unter-
geordnete Staatsorgane bzw. Organgruppen. TDurch das Prinzip der Gewaltenteilung soll
nicht die eine und unteilbare Staatsgewalt zerstückt, soll keineswegs die Gründung von drei
Staaten im Staate unternommen, sondemn es soll der Staatsgewalt eine gewisse organisatorische
Gestaltung gegeben werden, welche im allgemeinen dem Gedanken der Arbeitsteilung Rechnung
trägt, im besonderen aber zum Zweck hat, eine Beteiligung des Volkes bei der Bildung des gesetz-
gebenden Staatswillens herbeizuführen, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gesetzmäßig-
keit der Verwaltung zu gewährleisten. Das Nähere s. unten § 43, 44. Wer die Gewaltenteilung
in dem vorgestellten Sinne für unvereinbar hält mit der Einheit und Unteilbarkeit der Staats-
gewalt, müßte behaupten, daß diese Einheit nur dann gewahrt ist, wenn alle Funktionen der
Staatsgewalt in einem Universalorgan konzentriert und vereinigt sind. Eine dahingehende
Behauptung würde aber nicht sowohl, wie Haenel (Staatsrecht 1 93) mit Recht bemerkt,
in unauflöslichem Widerspruch mit den positivrechtlichen Verfassungen stehen; — es ließen sich
ihr auch die ebenso bekannten wie unbestreitbaren Tatsachen entgegenhalten, daß durch die Mehr-
heit seiner Organe und Glieder die Einheit des Lebewesens nicht aufgehoben wird, daß die
Vielfältigkeit der Räder und Hebel die Einheit der Maschine nicht alteriert. —
Was sonst noch der Staatsgewalt an Eigenschaften zugeschrieben zu werden pflegt, läuft
bisweilen auf leere Redensarten, nicht selten aber auch auf Unrichtigkeiten hinaus. Ersteres
gilt von der „Heiligkeit“ und „Ewigkeit", letzteres von der „Unverantwortlichkeit“ der Staats-
gewalt (vgl. z. B. Maurenbrecher, Staatsr. & 30). Unverantwortlich ist die Staatsgewalt