Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

242 Paul Schoen. 
meinden eine größere Selbständigkeit zu gewähren, ergingen zunächst in Bahern (Vdg. v. 17. 5. 
1818) und Württemberg (Verw. Ed. v. 1. 3. 1822) und dann in den dreißiger Jahren in Sachsen 
(St O. v. 2. 2. 1832 u. LGO. v. 7. 11. 1838), Kurhessen (GemO. f. Stadt- und Landgemeinden 
v. 23. 10. 1834) und Baden (Gem G. u. Bürgerrechts G. v. 31. 12. 1831). Auch in Preußen be- 
schäftigte sich die Gesetzgebung wieder mit dem gemeindlichen Verfassungsrechte: unter dem 
17. 3. 1831 wurde die sog. revidierte Städteordnung erlassen, die veranlaßt war durch einige 
Mängel, die sich bei der praktischen Handhabung der Städteordnung von 1808 herausgestellt 
hatten, diese aber keineswegs verdrängte, sondern nur in den inzwischen erworbenen Gebieten 
und da in Kraft trat, wo die Städteordnung von 1808 nicht galt; unterm 31. 10. 1841 erging 
eine Landgemeindeordnung für Westfalen, und unterm 23. 7. 1845 eine gemeinsame Gemeinde- 
ordnung für die Städte und Landgemeinden der Rheinprovinz, welche die bis dahin hier in Kraft 
verbliebene französische Gesetzgebung bescitigte und zum erstenmal das Dreiklassenwahlsystem 
einführte. 
III. Dann brachten die Bewegungen des Jahres 1848 wieder die Gemeindegesetzgebung 
in Fluß. In Preußen erging unterm 11. 3. 1850 eine Gemeindeordnung, die im ganzen Staate 
und in allen Gemeinden gelten wollte. Auch in Preußen sollte jetzt die bislang festgehaltene 
Unterscheidung zwischen Stadt und Land fallen gelassen werden; allein zur völlig gleichartigen 
Organisation aller Gemeinden konnte man sich doch nicht entschließen, und so brachte die Ge- 
meindeordnung eine kompliziertere und eine einfachere Organisation für die an Seelenzahl 
größeren und kleineren Gemeinden. Im übrigen stellte sie neue Grundsätze über die Gemeinde- 
angehörigkeit auf (s. unten S. 245). Sie führte weiter allgemein das Dreiklassenwahlsystem ein 
und erweiterte die Staatsaufsicht, die jedoch regelmäßig von zum Teil aus Ehrenbeamten be- 
stehenden Kollegien (Kreisausschüsse, Bezirksräte) geübt werden sollte. Allein diese Gemeinde- 
ordnung kam nur sehr sporadisch zur Ausführung. Verschiedene Umstände und nicht zuletzt die Er- 
kenntnis, daß die gleichmäßige Regelung des Gemeindewesens für alle Gemeinden des ganzen 
preußischen Staates nicht den großen provinziellen Verschiedenheiten und die arithmetische Unter- 
scheidung von großen und kleinen Gemeinden nicht dem durch geschichtliche Entwickelung und wirt- 
schaftliche Verhältnisse begründeten Unterschiede zwischen Stadt- und Landgemeinden gerecht 
werden könne, veranlaßten zunächst die Sistierung ihrer weiteren Einführung und dann ihre Auf- 
hebung durch Gesetz v. 24. 5. 1853. Es ergingen nunmehr für die einzelnen Teile des Staates be- 
sondere und für Stadt und Land verschiedene Gemeindeordnungen. Nämlich die noch heute 
geltenden Städteordnungen für die östlichen Provinzen mit Ausnahme von Neu-Vorpommern und 
Rügen v. 30. 5. 1853, für Westfalen v. 19. 3. und für die Rheinprovinz v. 15. 5.1856, welche sich im 
wesentlichen an die Gemeindeordnung v. 1850 anschlossen; fermer ein Gesetz betr. die Verfassung 
der Städte in Neu-Vorpommern und Rügen v. 31. 5. 1853, welches für diese im wesentlichen 
die durch spezielle Rezesse bestimmten Sondewerfassungen aufrechterhielt. Für die Land- 
gemeinden wurde in Westfalen eine neue Gemeindcordnung unterm 19. 3. 1856 erlassen, in der 
Rheinprovinz die Gemeindeordnung von 1845 in der ihr durch eine Novelle v. 15. 5. 1856 ge- 
gebenen Fassung wieder in Kraft gesetzt, womit auch diese den Charakter einer ausschließlichen 
Landgemeindeordnung erhielt; in den östlichen Provinzen dagegen blieb die alte ländliche 
Gemeindeverfassung bestehen, nur einige notwendige Ergänzungen und Klarstellungen des 
geltenden Rechtes brachte ein Gesetz v. 14. 4. 1856. 
Auch in zahlreichen anderen Staaten veranlaßte die liberale Strömung der Jahre 1848 
bis 1850 den Erlaß neuer Gemeindeordnungen, die jedoch alle das Schicksal der preußischen 
von 1850 teilten, d. h. im Laufe der fünfziger Jahre wieder beseitigt oder doch wesentlich ab- 
geändert wurden. Hierher gehören besonders die ersten allgemeinen hannoverschen Gemeinde- 
gesetze, die Städteordnung v. 1. 5. 1851 und die Landgemeindeordnung v. 4. 5. 1852, an deren 
Stelle dann die noch heute geltende Städteordnung vom 24. 6. 1858 und die Landgemeinde- 
ordnung v. 28. 4. 1859 getreten sind. 
IV. In Preußen war in der Folgezeit die nächste Veranlassung zur Emanation neuer 
Gemeindegesetze der Erwerb der neuen Provinzen. Grundsätzlich ließ man hier allerdings zu- 
nächst das vorgefundene Gemeinderecht bestehen. Unhaltbar schienen jedoch die unklaren, teils 
veralteten Rechtsverhältnisse in Schleswig-Holstein und die Verfassungseinrichtungen Frank- 
furts a. M., welche auf den ehemals staatlichen Charakter der Stadt zugeschnitten waren. Daher
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.