Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

252 Paul Schoen. 
verwaltung bereitzustellen. Eine Neuorganisation der höheren Kommunalverbände erfolgte 
in diesen Provinzen jedoch erst in den Jahren 1884—1888. In ihnen erging je eine besondere 
Kreisordnung für die Provinz Hannover, Hessen-Nassau, Westfalen, Rheinprovinz, Schleswig- 
Holstein, die sich eng anschloß an die Kreisordnung von 1872, und gleichzeitig wurde in jeder dieser 
Provinzen die Provinzialordnung von 1875 mit einigen Modifikationen eingeführt. In elf 
Provinzen sind sonach die höheren Kommunalverbände im wesentlichen gleichartig organisiert, nur 
in Posen und den Hohenzollernschen Landen (vgl. oben S. 229 III. u. Amts- u. Landes-O. v. 2.4.1873) 
weist ihre Verfassung noch Eigentümlichkeiten auf, und diese bestehen, nachdem auch in Posen 
durch G. v. 19. 5. 1889 Kreisausschüsse sowie ein Provinzialausschuß und ein Landesdirektor 
eingeführt sind und die Aktion der Kreis- und Provinzialorgane freier und selbständiger 
gestaltet ist, nur noch darin, daß die Kreistage (in Hohenzollern Amtsversammlungen) und der 
Provinziallandtag (in Hohenzollern Kommunallandtag gen.) noch ständisch zusammengesetzt sind 
(G. v. 4. 8. 1904). — 2. In Württemberg sind die heutigen Amtskörperschaften bereits im 
15. Jahrhundert entstanden, und zwar auf ganz anderer Grundlage als die Kreiskorporationen 
in Brandenburg. Sie waren von Anfang an keine ständischen Verbände, sondern umfaßten als 
ihre Glieder die Gemeinden (regelmäßig eine Stadt und mehrere Dörfer) eines Amtsbezirkes und 
sind wahrscheinlich von den Landesherren zum Zwecke der Verteilung und Aufbringung der 
Landessteuern gebildet worden. Schon früh entwickelte sich auch ihr heutiges Organ, die Amts- 
versammlung, deren Leitung dem landesherrlichen Vogte (Oberamtmann) zufiel. In der Folgezeit 
ist das Institut der Amtskörperschaft wiederholt durch die Gesetzgebung geordnet (KommunO. 
v. 1758, Ed. v. 1. 3. 1822, G. v. 21. 5. 1891), dabei immer jedoch nur den Bedürfnissen entsprechend 
fortgebildet, nie in seinen Grundlagen verändert worden, an denen auch die Bezirks O. v. 28. 7. 
1906, welche die geltende Ordnung der Amtskörperschaften enthält, nicht gerüttelt hat. — 3. In 
den übrigen Staaten sind die höheren Kommunalverbände durchweg Neuschöpfungen aus der 
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Bayern G. v. 28. 5. 1852 über die Distriktsräte; Baden 
G. v. 5. 10. 1863; Hessen G. v. 12. 6. 1874 u. 8. 7. 1911; über die Gesetzgebung der Klein- 
staaten und in Elsaß-Lothringen: Nachweisungen bei Meyer-Auschütz 409 ff.). 
II. Das geltende Recht. 1. Die dingliche Grundlage der höheren Kommunal- 
verbände ist regelmäßig ein staatlicher Verwaltungsbezirk. In Preußen sind die Kreis- und die 
Provinzialgemeinden (in der Provinz Hessen-Nassau auch die Bezirksgemeinden oben S. 238 TV.) 
für die Bezirke der staatlichen Unter- und Mittelbehörden gebildet worden, und ebenso sind in 
Hessen die Gebiete der Kreis- und Provinzialgemeinden gleichzeitig Bezirke für die staatliche 
Verwaltungz in den Staaten, die nur eine Art höherer Kommunalverbände haben (oben S. 238 IV.), 
decken sich diese räumlich mit den Verwaltungsbezirken der unteren Staatsbehörden; nur in Baden 
sind die Kreisverbände für mehrere Amtsbezirke gebildet und decken sich mit keinem staatlichen. 
Verwaltungsbezirke; in Elsaß-Lothringen bilden die Amtsbezirke der Mittelbehörden die Ge- 
biete der Bezirksverbände. 
2. Die persönliche Grundlage dder die Mitglieder der höheren Kommunal-- 
verbände sind entweder die ihnen durch Wohnsitz angehörigen Personen (Kreisangehörige, 
Provinzialangehörige) oder die Gemeinden, die sie umfassen. Jenes System ist das herrschende, 
es gilt in Preußen, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen und den meisten Kleinstaaten; nach diesem 
sind organisiert die württembergischen und die oldenburgischen Amtskörperschaften, während 
es für die bayrischen Distriktsgemeinden bestritten ist, ob der Gesetzgeber als ihre Mitglieder 
allein die Ortsgemeinden ansieht (v. Seydel, St R. 2 140). Wo jenes System gilt, stehen die ein- 
zelnen, die Mitglieder des höheren Kommunalverbandes sind, in unmittelbarem Rechtsverhältnisse 
zu diesem; es gibt hier eine Kreis- bzw. Provinzialangehörigkeit mit einem der Gemeinde- 
angehörigkeit gleichartigen Rechtsinhalte. In Preußen z. B. enthält die Kreisangehörigkeit das 
Recht zur Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung des Kreises, die im aktiven und 
passiven Wahlrechte ihren Ausdruck findet, und zur Benutzung der Kreisanstalten, und die Pflicht, 
unbesoldete Amter in der Vertretung und Verwaltung des Kreises zu übernehmen und die zur 
Deckung der Kreisbedürfnisse erforderlichen Abgaben zu leisten (KrO. #s§ 7, 8, 9); und die 
Provinzialangehörigkeit berechtigt zur Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung des 
Provinzialverbandes wie zur Mitbenutzung der Provinzialanstalten und verpflichtet zur Mit- 
tragung der Provinziallasten (ProvO. §§ 6, 7; eine Verpflichtung der Provinzialangehörigen
	        
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