Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

22 G. Anschütz. 
unbeschränkten Herru dieser Gewalten ausgeworfen, weil und seitdem er sich von den Macht- 
ansprüchen des Reiches und der Kirche emanzipiert hat. So ist „souverän“ aus einem kom- 
parativischen zu einem superlativischen Begriff geworden. 
Der damit bezeichnete Gedankenfortschritt ist die Tat eines französischen Staatsphilosophen, 
des Jean Bodin (Six livres de la République, 1576), welcher dem Souveränetätsbegriff 
sein modernes Gepräge gegeben und ihm auf Jahrhunderte hinaus seine Stellung im System 
der Staatslehre angewiesen hat. Bodin geht von der Tatsache aus, daß es zwei Arten 
menschlicher Herrschaften und Gemeinwesen gebe: solche, die von dritten Mächten (außerhalb 
und innerhalb ihres Gebietes) unabhängig und solche, die dies nicht sind 1. Diese Unterscheidung 
trennt nach Bodin Staat und Nichtstaat: nur die Gemeinwesen der ersten Kategorie sind 
souverän und Staaten, die der andern sind beides nicht. Bodin desiniert: „IEtat est un 
droit gouvernement de plusieurs menages avec puissance souveraine“ (Six livres 1, 1; in der 
lateinischen Ausgabe des Buches lautet der Satz .. „recta plurium familiarum cum summa 
potestate gubernatio; „souverain“ ist also mit „summus“ übersetzt, der Superlativ (s. oben!) 
ist da). Der Begriff ist ersichtlich der den Schriftsteller umgebenden Wirklichkeit entmommen: 
das Frankreich Bodins war in der Tat schon ein souveräner Staat. Bedeutsam ist aber, 
daß dieses Merkmal als ein allgemeines, typisches aufgefaßt, daß es zu einer Anforderung 
erhoben wird, die an jedes Staatswesen zu stellen sei. 
Bodin hat also 1. den Souveränetätsbegriff festgestellt. Er hat 2. die Souveränetät 
für eine notwendige Eigenschaft, ein essentiale der Staatsgewalt erklärt. Endlich geht 
3. auf ihn zurück eine eigentümliche Doppeldeutigkeit des Begriffes, welche darin zu erblicken 
ist, daß mit „Souveränctät" nicht nur eine Eigenschaft des Staates, sondem bisweilen auch 
eine Eigenschaft seines obersten Organs, des „Herrschers“, bezeichnet wird. Souverän ist nach 
Bodin nicht sowohl der Staat als der König. 
Bodins Definition des Souveränetätsbegriffes kann, wenn sie jetzt auch mit anderen 
Worten ausgedrückt wird, noch heute als maßgebend gelten. Denn „summa potestas“ ist ja 
dasselbe wie volle Unabhängigkeit nach innen und außen, Fähigkeit zur Eigenmacht. Aber auch 
in ihren beiden anderen Thesen wird die Theorie des alten französischen Staatsgelehrten noch 
heute von manchen für richtig gehalten. Mit Unrecht sicher, was Punkt 3 anlangt. Hier liegt 
eine Begriffsvermengung vor. Unfähig, zwischen dem Gemeinwesen und seinem Organ, 
zwischen Staat und König scharf zu unterscheiden, verwechselt die ältere Lehre zweicrlei: höchste 
Gewalt des Staates und höchste Gewalt im Staate. Diese Unklarheit wirkt noch 
heute fort. Noch heute pflegt der Sprachgebrauch — allerdings weniger der wissenschaftliche 
als der amtliche, insbesondere der diplomatische — die Worte Souveränetät und souverän doppel- 
deutig zu verwenden: souverän ist der Staat, sofern er nach außen unabhängig, im Innern 
aber oberster Gewalthaber ist; „Souverän“ wird anderseits genannt diejenige Person oder 
Personenmehrheit, welche, je nach der Verfassung der betreffenden Staaten, dessen Unabhängig- 
keit und höchste Gewalt ausübt: das oberste Organ des Staates. So spricht man insbesondere 
von dem Prinzip der Fürstensouveränetät oder monarchischen Souveränetät, wolches (gleich- 
bedeutend mit dem „monarchischen Prinzip“ der Wiener Schlußakte von 1820 (vgl. unten 42, 43)) 
ausdrücken soll, daß alle Funktionen der Staatsgewalt grundsätzlich von den Monarchen allein 
ausgeübt werden, andererseits von der „Volkssouveränetät“, dem die Demokratien und sog. 
parlamentarischen Monarchien beherrschenden Verfassungsgrundsatz, welcher den Volkswillen 
für die höchste Potenz im Staate erklärt; so gebrauchte Bismarck das Wort Souveränetät, 
wenn er sagt, daß die Souveränetät im Deutschen Reiche nicht beim Kaiser, sondem bei den 
verbündeten Regierungen ruhe (unten S. 95). Dieser Sprachgebrauch kann nicht gebilligt 
werden. Souveränetät ist eine Eigenschaft des Staates, nicht eines Staatsorgans. Das Wort 
darf also auch nur von der Staatsgewalt alss solcher gebraucht werden. Der Begriff der Organ- 
souveränetät; Worte wie „Fürstensouveränetät“ und „Volkssouveränetät“ stiften nur Unklarheit 
und sollen daher vermieden werden. 
1 Er fußt hier auf der von der italienischen Jurisprudenz des späteren Mittelalters 
(Bartolug) aufgestellten Unterscheidung zwischen civitates superiorem recognoscentes und 
non recognoscentes (Gierke, Genossenschaftsrecht 3 639 ff.).
	        
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