Deutsches Verwaltungsrecht. 277
II. Entstehung und Untergang der öffentlich rechtlichen An-
sprüche und Pflichten. 1. Die Reflexansprüche entstehen ihrem Wesen nach stets un-
mittelbar aus einer objektiven Norm. Die subjektiven öffentlichen Rechte können entstehen:
à. gleichfalls unmittelbar aus einem Rechtssatze; so entsteht der Anspruch jedes Deutschen auf
Aufnahme, der Anspruch auf die Leistungen der Krankenkassen und Versicherungsanstalten,
auf Erteilung eines Wandergewerbescheines u. a. bei Vorhandensein eines gewissen Tatbestandes
unmittelbar aus dem Gesetze; b. aus rechtsschaffenden Verfügungen, so der Gehaltsanspruch
aus der Anstellung, die Ansprüche des öffentlichen Untemehmers aus der Verleihung; c. aus
Wahlen: die Ansprüche auf bestimmte Amter, auf die Mitgliedschaft in politischen Körperschaften;
#l. durch öffentlich rechtlichen Vertrag, oben S. 259; e. durch Ersitzung, jedoch nur, wo diese ver-
einzelt ausdrücklich zugelassen ist, da sie als ein allgemeiner Entstehungsgrund öffentlicher Rechte
nicht anerkannt ist.
2. Die Reflexansprüche und diejenigen subjektiven öffentlichen Rechte, welche unmittelbar
aus dem Gesetze entstehen, gehen unter mit Wegfall der objektiven Norm oder der Eigenschaften,
welche die Voraussetzungen des Anspruches bilden (Staats-, Gemeindeangehörigkeit usw.).
Im übrigen gehen subjektive öffentliche Rechte unter a) durch rechtsvernichtenden Verwaltungs-
akt (loben S. 264); b) durch Entziehung mittels Strafurteils, RStrG#B. 8§ 33, 35; c) durch öffentlich-
rechtlichen Vertrag; d) durch Verjährung, soweit sie als Erlöschungsgrund ausdrücklich anerkannt
ist, wie besonders beim Rechtsschutzanspruch (Klageverjährung); e) regelmäßig (vgl. unten III)
durch Wegfall des berechtigten Subjektes, Tod der physischen, Auflösung der juristischen Person;
f) die Frage, ob subjektive öffentliche Rechte auch durch Verzicht, d. h. einseitige Willenserklärung
des Berechtigten zum Erlöschen gebracht werden können, ist bestritten 1. Erwägt man jedoch,
daß jedes subjektive öffentliche Recht, wenngleich es dem Individuum in seinem Interesse ge-
geben ist, doch immer auch gleichzeitig im Interesse der Gesamtheit konstituiert ist, also sein
Untergang immer auch das Interesse dieser tangiert, so wird man grundsätzlich den Verzicht
auf ein öffentliches Recht für unwirksam erklären müssen und ihm nur da Wirksamkeit beilegen
dürfen, wo ihn positive Vorschriften oder Gewohnheitsrecht zulassen. Daher erscheint unwirk-
sam ein Verzicht auf Gehalts-, Pensionsansprüche, auf die Ansprüche auf Krankengeld, Unfalls-
renten u. dgl. Dagegen gilt gewohnheitsmäßig als wirksam ein Verzicht auf die Mitgliedschaft
im Parlament oder in kommunalen Vertretungen wie auf ein Ehrenamt, zu dessen Annahme
keine Pflicht besteht. In vielen Fällen, in denen Zulässigkeit des Verzichtes angenommen
wird, handelt es sich aber überhaupt nicht um einen solchen; nämlich überall da nicht, wo das
subjektive Recht nicht schon durch die Erklärung des Verzichtenden, sondern erst unter Hinzutritt
einer staatlichen Handlung erlischt, wie beim „Verzicht“ auf Titel, Orden, Beamtenstellung.
Von dem Verzichte auf das Recht als solches ist zu unterscheiden der Verzicht auf die aus ihm
entspringenden einzelnen aktuellen Ansprüche. Dieser ist zulässig, soweit er nicht wie bei den
Ansprüchen der Abgeordneten auf Tagegelder usw. (RG. v. 21. 5. 1906 § 8; Pr. Vlrk. Art. 85)
im öffentlichen Interesse ausdrücklich ausgeschlossen ist. Ein wahrer Verzicht kann nur Platz
greifen gegenüber einem subjektiven Rechte. Daher kann auf Befugnisse, die sich nicht als
subjektive Rechte qualifizieren, wie die Reflexbefugnisse und die Betätigungen der Handlungs-
freiheit, die durch polizeiliche Erlaubnisse frei geworden sind loben S. 264 5), nicht wirksam
verzichtet werden.
3. Die Entstehungs= und Untergangsgründe für die öffentlichen Pflichten sind die gleichen
wie für die öffentlichen Ansprüche, also Gesetz, Verfügung, Vertrag, Verjährung (wo sie ausdrück-
lich anerkannt ist, wie z. B. als Endigungsgrund der Verbindlichkeit zur einzelnen Abgaben-
leistung), Wegfall des verpflichteten Subjektes (s. unten zu III) und der die Pflicht be-
gründenden sachlichen Voraussetzungen.
III. Die öffentlichen Pflichten und Rechte sind in der Regel an die Person gebunden,
für die sie entstanden sind, und gehen, wie bereits erwähnt, mit dieser unter. Eine der privat-
rechtlichen analoge Rechtsnachfolge in öffentlichen Pflichten und Rechten
gibt es daher grundsätzlich nicht. Sie besteht besonders auch da nicht, wo öffentliche Pflichten.
1 Bgl. bes. Schoenborn, Studien zur Lehre vom Verzicht im öffentlichen Recht, Tübingen
1909; Kormann in Grünhutszschr. Jahrg. 1911 91 ff.