Deutsches Verwaltungsrecht. 297
deutschen Gesetzgeber entspricht, nicht einfach: eine Formel wie die österreichische wäre da zu
eng, wo man unter Umständen auch bloß faltischen Interessen den verwaltungsgerichtlichen
Schutz gewähren will; wollte man die Verwaltungsgerichte aber einfach für zuständig erklären,
über alle vor sie gebrachten Streitigkeiten des öffentlichen Rechtes zu entscheiden, so würde man
damit die Verwaltungstätigkeit in einem viel weiteren Umfange der verwaltungsgerichtlichen
Kontrolle unterstellen, als es angängig erscheint. Die Enumerationsmethode bietet dem Gesetz-
geber eben den großen Vorteil, daß er den verwaltungsgerichtlichen Schutz nur da, aber auch
überall da eintreten lassen kann, wo er ihn für wünschenswert hält, und daß er ihn allmählich
ausdehnen kann, Hand in Hand mit der Ausbildung des materiellen Verwaltungsrechtes. Diesen
Erwägungen hat auch der württembergische und sächsische Gesetzgeber sich nicht verschließen können
bei Abgrenzung der Zuständigkeit der unteren Verwaltungsgerichte. Wenn er dann aber die
Zuständigkeit des obersten Verwaltungsgerichtes durch eine der österreichischen nachgebildete
Generalklausel bestimmt hat, so war er dazu durch die Absicht geführt, gegen Rechtsverletzungen
lückenlos den verwaltungsgerichtlichen Schutz zu gewähren, während er gleichzeitig der Meinung
war, daß das oberste Verwaltungsgericht leichter und sicherer die Frage entscheiden werde,
ob eine Rechtsverletzung vorliege, als die untere Instanz.
Aus der Methode, nach der die Zuständigkeit durch die einzelstaatliche Gesetzgebung be-
stimmt ist, erklärt sich, daß diese in den verschiedenen Staaten tatsächlich eine sehr verschiedene
ist und für jeden nur kasuistisch festgestellt werden kann. Hier wird daher auf diese Zuständigkeits-
vorschriften nicht weiter eingegangen; nur zwei Fragen von allgemeiner Bedeutung, zu denen
die Gesetzgebungen Stellung zu nehmen hatten, sind noch zu berühren: a) Sollten die Ver-
waltungsgerichte nur zum Schutze subjektiver Rechte der einzelnen oder auch zum Schutze der
objektiven Rechtsordnung berufen werden? Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
war in erster Linie durch das Bestreben veranlaßt, dem einzelnen einen Schutz zu gewähren
gegen Verletzungen durch die Verwaltung, und einzelne Gesetzgebungen geben die Verwaltungs-
klage denn auch nur da, wo eine Verletzung subkietiver Rechte behauptet wird (Bay. § 8,
Württ. Art. 13, Braunschw. § 9). Allein die Gesetzgebung der meisten Staaten hat der
Verwaltungsgerichtsbarkeit doch auch die weitere Aufgabe gestellt, die objektive Rechtsordnung
zu schützen und demzufolge auch Klageerhebungen zugelassen, die nicht auf eine Verletzung des
Klägers in seinen Rechten gegründet sind. Dahin gehören z. B. nach preußischem Rechte alle
Fälle, in denen eine Staatsbehörde als Klägerin auftritt gegenüber einem Gewaltunterworfenen
(ZG. §§ 119, 120), die Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse des Provinzialrates, Bezirks-, Kreis-
ausschusses, welche dem Vorsitzenden dieser Behörden beim Oberverwaltungsgerichte gegeben
sind (LVG FK 126), die Klagen, die der Gemeindevertretung bzw. dem kollegialischen Gemeinde-
vorstande gegen ihre Beschlüsse beanstandende Verfügungen des Gemeindevorstandes bzw.
Bürgermeisters gegeben sind (ZG. §§ 15, 29), die Klagen, welche einzelnen gegeben sind, um
die Realisierung einer Rechtsnorm herbeizuführen, die subjektive Rechte überhaupt nicht be-
gründet, wie die Klage, welche jedem mit seinem Einspruche gegen die Richtigkeit der Wähler-
liste abgewiesenen Gemeindemitgliede zusteht (ZG. §§ 10, 11), die Befugnis der Vorsitzenden
der unteren Verwaltungsgerichte zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen deren Entscheidungen
im öffentlichen Interesse (s. unten S. 301). Die jüngsten Gesetzgebungen sind aber zum Teil
noch weiter gegangen, indem sie ganz allgemein die Verwaltungsklage an die Voraussetzung
knüpfen, daß „das bestehende Recht (d. h. die objektive Norm) nicht oder nicht richtig angewendet"“
ist (Sachs. § 76. Kob.-Gotha § 10). b) Sollten die Verwaltungsgerichte auf die reine Rechtsprechung
beschränkt oder sollten sie auch mit der Nachprüfung solcher Verfügungen der Verwaltungs-
behörden betraut werden, die diese nach ihrem freien Ermessen, d. h. ohne den Untertanen gegen-
über an Rechtsnormen gebunden zu sein, erlassen? Auch die Entscheidung dieser Frage stand
ganz zur freien Disposition der Gesetzgeber. Aus der Natur der Sache, dem „begrifflichen Wesen
der Verwaltungsrechtspflege“, folgt für ihre Beantwortung nichts. Die Entscheidung von sog.
„Ermessensfragen“ ist zwar nie Rechtsprechung im prägnanten Sinne des Wortes,
allein das hindert nicht, daß sie doch als zur Rechtspflege gehörig behandelt und den Verwaltungs-
gerichten übertragen wird; sind doch auch die Zivilgerichte, z. B. in Teilungssachen, berufen,
nach freiem Ermessen zu entscheiden. Es ist daher keineswegs als selbstverständlich anzusehen,
daß die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte überall da aufhört, wo das freie Ermessen der