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Verwaltungsbehörden anfängt. Dieser Satz gilt nur da und nur soweit, als der einzelne Gesetz-
geber ihn nachweisbar anerkannt hat, und dieses ist in viel geringerem Umfange der Fall, als
gewöhnlich angenommen wird. Die Gesetzgebungen Bayems (Art. 13, 3; Prinzip durchbrochen
Art. 111), Württembergs und Badens haben den Satz wohl ausdrücklich ausgesprochen, aber
nur für die Zuständigkeit des obersten Verwaltungsgerichtes, und die Gesetzgebungen Württem-
bergs und Badens auch für diese nicht schlechthin, sondern jene nur, sofern der Verwaltungs-
gerichtshof auf „Rechtsbeschwerden“ zu entscheiden hat (Art. 13 2), diese für einzelne Fälle, in
denen er erst= un d letztinstanzlich zuständig ist (§4 1, 4). Die unteren Verwaltungsgerichte Bayeims
Württembergs und Badens haben daher neben den Rechts= auch die Ermessensfragen zu ent-
scheiden, welche sich bei den ihnen als Verwaltungsstreitsachen zugewiesenen Angelegenheiten
ergeben, und dasselbe gilt stets für den Verwaltungsgerichtshof der beiden letztgenannten Staaten,
sofermn er auf Berufung entscheidet (Seydel 1, 592, Göz 101 1). Andere Gesetzgebungen haben
stillschweigend die Nachprüfung von Ermessensfragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit dadurch
entzogen, daß sie die Nerwaltungsklage nur geben, wenn sie behauptet, daß die mit ihr angefochtene
Verfügung eine Rechtsverletzung enthalte. So allgemein die koburg-gothaische Gesetzgebung,
beschränkt die kgl. sächsische Gesetzgebung (§ 10; § 76, 1); in Sachsen ist die tatsächliche Rechtslage
dieselbe wie in Württemberg: Ermessensfragen sind nur entzogen dem obersten Verwaltungs-
gerichte und auch ihm nur (allerdings auch dann nicht ausnahmslos: § 76 3), wenn es auf die
Anfechtungsklage entscheidet (Apelt 33, 35, 48, 289). Die anderen Gesetzgebungen haben über-
haupt nicht die Unterscheidung von Rechts-= und Ermessenssachen zum Ausgangspunkte für
Zuständigkeitsbestimmungen gemacht. In allen Angelegenheiten, die sie aufzählend den Ver-
waltungsgerichten überweisen, haben diese die Rechts= und Ermessensfragen gleichmäßig zu
entscheiden. Und es gibt nach ihnen eine ganze Reihe von Verwaltungsstreitsachen, bei denen
ös sich lediglich oder doch vorwiegend um Nachprüfung von Akten des freien Ermessens handelt.
So, wenn z. B. nach preußischem Rechte der Verwaltungsrichter darüber zu entscheiden hat,
ob die Einziehung oder Verlegung eines öffentlichen Weges, durch welche Interessen verletzt
sind, Bestand haben soll (ZG. 8 57), ob Anforderungen der zuständigen Behörden in Schul= und
Wegebausachen (8§8 47. 56; Pr. O. E. 19, 227) wie hinsichtlich der Räumung von Wasserläufen
(§F 66) notwendig und angemessen sind, ob ein örtliches Bedürfnis nach einer neuen Schank-
wirtschaft vorhanden ist (ZG. § 114, Gew O. 3 333), ob Tatsachen vorliegen, aus denen auf die
Unzuverlässigkeit des Konzessionsnachsuchers zu schließen ist (ZG. § 115, Gew O. /& 30 15, 322),
ob eine neue Innung die Existenz einer vorhandenen gefährdet (3G. § 1242, GewO. §843; vgl.
auch ZG. § 126 u. GewO. & 97, 4) u. a. Eine Ermessensfrage ist aber auch da überall den
Verwaltungsgerichten zugeschoben, wo die Klage darauf gestützt werden kann, daß die „tat-
sächlichen Voraussetzungen“ nicht vorhanden seien, welche die Behörde zum Erlasse der an-
gefochtenen Verfügung berechtigt haben würden (O. Mayer 1, 192 f.). Auf diese Behauptung
können aber in Braunschweig (8 9 2) alle Verwaltungellagen, in anderen Staaten, wie in Preußen
(LVG. k* 127), Oldenburg (X 143), Lippe (3G. 1 XIV), die Klagen gegen polizeiliche Ver-
fügungen gestützt werden; auch Baden läßt diese Begründung, und zwar für erstinstanzliche Klagen
an den Verwaltungsgerichtehof zu (§ 45) und durchbricht damit das Prinzip, diesem Ermessens-
fragen zu entziehen. Ubrigens bedeutet die Entzichung von Ermessensfragen immer nur, daß
das Gericht nicht nachprüfen darf, ob die Verfügungsbehörde zweckentsprechend gehandelt hat,
nicht ist seiner Uberprüfung damit auch die Frage entzogen, ob die Behörde sich in den Grenzen ge-
halten hat, die ihrem freien Ermessen gezogen sind (Sachs. OVG. Jahrb. 3, 303, 4, 97). Und ebenso
ist mit der Entziehung von Ermessensfragen nicht auch die Nachprüfung der Tatfrage von selbst aus-
geschlossen. Es ist stets davon auszugehen, daß das Gesetz, wenn es in einer Sache den Verwaltungs-
rechtsgang eröffnet, eine Uberprüfung derselben nach allen Seiten hin gewähren will, soweit es
nicht, wic solches ja auch hinsichtlich der Ermessensfrage geschehen ist, ausdrückliche Vorbehalte
gemacht hat. Zur allseitigen Uberprüfung eines Streitverhältnisses gehört aber seine Prüfung
in tatsächlicher wie in rechtlicher Beziehung. Nur wenn auch der Tatbestand nachgeprüft und
eventuoell richtiggestellt werden kann, kann das Verwaltungsgericht, worauf die meisten Ver-
waltungsklagen gerichtet sind, eine sichere Entscheidung darüber abgeben, ob dem Kläger durch
die angefochtene Verfügung ein Unrecht zugefügt ist, denn es ist „das Gesetz auf den Fall auch
dann falsch angewendet, wenn es zwar auf den vom angefochtenen Urteile angenommenen, aber